Parasiten und andere Helferlein
Gesellschaftsfähig durch smarte Flüsterer: Clemens Setz’ „Erinnya“dreht sich um künstliche Intelligenz und die Frage, wer wen kontrolliert.
Derautor selbst fehlte. Clemens J. Setz nahm am Donnerstag im GoetheInstitut in Tokio mit seiner Übersetzerin Ayano Inukai den Merck-kakehashi-literaturpreis 2018 entgegen. Und versäumte daher einen sehr unterhaltsamen Abend – die Uraufführung seines Auftragswerks „Erinnya“auf der zweiten Bühne des Schauspielhauses Graz.
In dessen Zentrum steht Matthias, ein depressiver Hikikomori (Selbsteinschließer), der dank „Erinnya“wieder gesellschaftsfähig wird: ein Smartgerät, das aus aufgezeichneten Gesprächen neue Sätze mischt und per Knopf im Ohr seinem Nutzer flüstert. Der wird so praktisch zum Sprachrohr einer künstlichen Intelligenz: Denn was Matthias fortan von sich gibt, ist pures Konversationshaschee. Was seine Umwelt nicht davon abhält, sich mit dem sozial reparierten Kommunikationscyborg prächtig zu unterhalten. Motto: Keineaussage ist so absurd, dass sie nicht auch in die Belanglosigkeiten ganz normaler Alltagsgespräche passt.
In der Hauptrolle besticht Performer Alex Deutinger mit beeindruckender Körperlichkeit, als seine konsequent durchgeblümte Gefährtin Tina
(Kostüme: Elisabethweiß) versprüht Susanne Konstanze Weber verzweifelt Optimismus, währendnico Link als ihr Vater den seltsamen Schwiegersohn mit kleinbürgerlichem Misstrauen umschleicht und Martina Zinner als ihre Mutter mit lila Turmfrisur und hübsch überspannter Paulawesselyhaftigkeit zwischen Falttüren und Ornamentglaswänden (Bühne: Frank Holldack) häusliche Deeskalationspolitik betreibt.
Als künstliche Intelligenz „Erinnya“schließlich übernehmen Tamara Semzowund Alida Bohnen nicht nur zunehmend die Kontrolle, sondern berichten, in präzisem Chorsprech plaudernd, wie Parasiten im Tierreich ihrewirte manipulieren: subtiles Innuendo in einer anspielungsreichen und mit Zitaten von „Macbeth“bis „Mr. Bean“gespickten Tragikomödie, der Regisseurin Claudia Bossard etliche bizarre Pointen abringt. Langer Jubel nach kompakten 100 Minuten.