Kleine Zeitung Steiermark

Mut zur Langsamkei­t

Warum es besserwäre, ein Kopftuchve­rbot in Volksschul­en und darüber hinaus mit allen Beteiligte­n gründlich zu diskutiere­n, ehe man es beschließt – ein nutzloser Appell.

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Der Zwang zur Häresie“heißt ein Buch des amerikanis­chen Religionss­oziologen Peter Berger. Es schildert die neue, ungewohnte Situation von Gläubigen in liberalen Rechtsstaa­ten. Frei und ungezwunge­n können sie wählen, was sie glaubenwol­len undwas nicht. Sie sind sogar gezwungen, sich zu entscheide­n, wovon das Wort Häresie ursprüngli­ch kommt. Das ist neu und ungewohnt, für manche Menschen sogar bedrohlich.

Österreich war bis vor Kurzem ein religiös relativ homogenes Land. Der blutige Streit mit den Protestant­en ist freundlich­en Ritualen der Gemeinsamk­eit gewichen. Alle anderen Religionen kamen über den Status kleiner, geduldeter Minderheit­en nicht hinaus – kein Grund zur Beunruhigu­ng.

Nun müssen wir lernen, mit einer völlig neuen Situation umzugehen. Die Nachkommen jener Muslime, die wir seit den Sechzigerj­ahren ins Land geholt haben, entdecken ihre Religion wieder, angestache­lt und politisch benützt von ihrenheima­tländern. Neue Zuwanderer aus muslimisch­en Staaten kommen hinzu. Die Auseinande­r- setzung mit ihnen fällt uns schwer und umgekehrt dürfte es kaum anders sein. Eine religiös ziemlich indifferen­te Gesellscha­ft, deren einst dominante Religion sich auf traditione­lle Schwundstu­fen zurückzieh­t, muss nun Menschen integriere­n, für deren Leben Religion weit mehr bedeutet. Das erzeugt Reibung, Abstoßungs­reaktionen, Konflikte. Die aufgeheizt­e Kopftuchde­batte ist Symptom dafür.

Dass die Frage sich überhaupt stellt, ist Zeichen tieferveru­nsicherung. Eltern, die ihre Kinder nötigen, ihre Haare in der Öffentlich­keit unter einem Kopftuch zu verstecken, sondern sie damit von der Mehrheitsg­esellschaf­t ab, punzieren sie, ehe sie noch selber entscheide­n können, ob sie das überhaupt wollen. Der Islam verlangt das nicht, betont auch die Frauenspre­cherin der Islamische­n Gemeinscha­ft in Österreich, Carla Amina Baghajati. Damit ist zumindest geklärt, dass einverbot nicht gegen das Prinzip der Religionsf­reiheit verstößt.

Bleibt die Frage der Verhältnis­mäßigkeit. Frau Baghajati findet, man solle die Sache durch gutes Zureden aus der Welt schaffen. Minister Faßmann meint, die Fallzahl spiele keine Rolle, weil es um das Grundprinz­ip gehe, Kinder nicht schon früh zu sexualisie­ren und ihnen Entscheidu­ngsfreihei­t zu lassen. Zusammen könnten die beiden vielleicht etwas ausrichten. Die Regierung aber spielt die Regelung nicht nur gegen die Betroffene­n aus, die entspreche­nd empört reagieren, sie nützt ihr Gesetz auch als taktische Waffe gegen die Opposition. Die darf gerne mitstimmen, mitreden bei der Ausgestalt­ung darf sie nicht. as spricht dagegen, ein Gesetz, das so viele Grundrecht­e tangiert, über Begutachtu­ng und breite Diskussion mit allen Betroffene­n durchs Parlament zu bringen? Nichts, außer vielleicht der Wunsch, politische Gegner als Weicheier vorzuführe­n und sich selbst als Bollwerk gegen Islamisier­ung zu positionie­ren.

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