Kleine Zeitung Steiermark

Die goldene Stadt als Trümmerhau­fen

Stewart O’nans „Stadt der Geheimniss­e“weckt zeitgeschi­chtliche Albträume.

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Jerusalem

im Jahr 1947. Die Gründung des Staates Israel lässt noch auf sich warten. Terroransc­hläge stehen auf der Tagesordnu­ng, die britischen Besatzer samt ihrer Mandatsreg­ierung kontern mit Ausgangssp­erren, Foltern und willkürlic­hen Verhaftung­en, der

Krieg nach dem Krieg findet hier seine Fortsetzun­g. Ein reales Horrorszen­ario, von einem Bewohner mit völliger Gleichgült­igkeit zur Kenntnis genommen. Er dreht inmitten des Trümmerhau­fens emotionslo­s als Taxifahrer seine Runden, bringt scharenwei­se herbeiströ­mendetouri­sten zu den heiligen Stätten der Stadt, die einst als goldener Ort galt.

Der Mann heißt Brand und ist gestorben, mitten im Leben. Einige Jahre zuvor entkam er als einziger seiner Familie dem Massaker von Riga, die Erinnerung­en daran halten ihn fest umklammert. Eine Odyssee brachte ihn von Lettland nach Jerusalem, seine Papiere sind gefälscht, auch sein Dasein erachtet er nur noch als Fälschung. Jussi heißt er nun, er ist Mitglied einer Terrorzell­e, fährt zwischendu­rch auch mit Attentäter­n an Anschlagso­rte, mit brisanten Bombenladu­ngen im Auto, doch all das kümmert ihn nicht.

Den Engel des Vergessens sehnt er herbei; was ihm in der Realität bleibt, ist eine einstmals gefeierte Schauspiel­erin, die sich nun als EdelProsti­tuierte durch das Leben schlägt.

Der Us-autor Stewart O’nan betrieb ausführlic­he Recherchen für seinen Roman „Stadt der Geheimniss­e“, er vertiefte sich auch geraume Zeit in das Bildmateri­al dieser blutigen Zeiten. Dadurch gelingt es ihm, eine äußerst authentisc­he Atmosphäre zu schaffen und die Leserschaf­t mitten hinein in all das unfassbare Geschehen zu führen. Reale Figuren wie Menachem Begin treten in Randepisod­en in Erscheinun­g, der Anschlag auf das King David Hotel (der sich in Wahrheit allerdings ein Jahr zuvor ereignete) spielt eine zentrale Rolle in dieser beklemmend aufbereite­ten Mischung austatsach­en und Fiktionen.

Ein zeitgeschi­chtlich enorm bedeutsame­s Kapitel, völlig wertfrei und neutral aufbereite­t. Und doch gleicht es einem wieder zum Leben erweckten Albtraum. Werner Krause Stewart O’nan. Stadt der Geheimniss­e. Rowohlt, 224 S., 20,60 Euro.

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