Wohlstand löst Abstiegsängste aus
Sind wir Österreicher zu mieselsüchtig? Zwei Leser machen sich Gedanken über die „Früher war alles besser“-nostalgie.
Früher war alles besser. Dass viele Menschen so empfinden, wird seit Wochen in den Medien berichtet. Ich bin 68 Jahre alt und ich behaupte, heute ist vieles besser. Beispiele: Ich musste 1960 von meinem Elternhaus zu Verwandten ziehen, um eine Hauptschule zu besuchen. Das ist für ein 10-jähriges Kind nicht lustig. Ein Besuch beim Facharzt war wegen des kaum vorhandenen öffentlichen Verkehrs schwer möglich, der Besuch einer höheren Schule war nur mit Schülerheim möglich.
Aber es ist heute auch etwas schlechter! Der Mensch ist schlechter geworden! Er nimmt von den vielen Möglichkeiten, die heute geboten werden, zu viel. Er will haben, und zwar möglichst viel. Und mancher kommt damit in das so oft zitierte Burn-out. Nach der Arbeit Ruhe zu finden, schaffen immerweniger, es muss mit Aktivität weitergehen.
Und noch dreitatsachen zum Thema besser – schlechter, die jeder individuell bewerten soll: Ich war die ersten sechs Jahre meines Lebens bei den Eltern, es hat mir gutgetan. Die Lebenserwartung der Menschen steigt jedes Jahr. Aber die Scheidungs- rate hat sich seit meiner Geburt verdreifacht, und die Zahl der Gläubigen ist um 50 % gesunken. Rudolf Klampfer, Edelsbach
Kein Jammertal
Obwohl es den meisten Österreichern noch nie so gut wie heute gegangen ist, was auch objektive Zahlen belegen, herrschen bei uns vielfach Mieselsucht und Kulturpessimismus. Medien tragen dazu maßgeblich bei, weil dieverkaufsziffern nicht bei Good News, sondern bei Bad News steigen. Damit wird der Zustand der Welt viel schlechter dargestellt, als er tatsächlich ist. Die Welt ist kein Jammertal und es gibt viel Schönes, wenn man es nur sehen will.
Da wir jedoch im Zenit unseres Wohlstandes angelangt sind, löst dies bei vielen Verlust- und Abstiegsängste aus. Denn je reicher die Gesellschaft, desto größer werden statt Chancen die Verlustgefahren empfunden. Das Missmanagement der Flüchtlingskrise hat die Ängste vor einer Überforderung unseres Sozial- und Bildungssystems noch verstärkt. Ängste sind jedoch kein kluger Ratgeber, weil sie uns bei der Gestaltung der Zukunft behindern. Lernen wir daher, auch die guten Botschaften anzunehmen; sagen wir dem aus unserer Wahrnehmungsverzerrung entstehenden Kulturpessimismus den Kampf an.
Dr. Ewald Bauer, Graz
Zu Ihrem Interview mit Diakonie-chefin Maria Katharina Moser: Fraumoser setzt religiöse Bildung gegen religiösen Analphabetismus. Damit hat sie recht und ich halte es für ein