Kleine Zeitung Steiermark

Bis zum Ende der Tage

Der Versuch Theresa Mays, die Brexit-abstimmung im Unterhaus über eine Beeinfluss­ung der öffentlich­en Meinung zu gewinnen, hat wenig Aussicht auf Erfolg.

- Andreas Lieb

Die Briten und ihr eigener Sinn für Humor. BrexitHard­liner Boris Johnson nannte den Brexit-vertrag gerade einen historisch­en Fehler, als ihm ausgerechn­et die „Titanic“in den Sinn kam: Es wäre jetzt, sagte er, an der Zeit, auf den Eisberg da vorne hinzuweise­n.

Stimmt. Es ist der Eisberg, den Johnson, Farage und Co. selbst aus dem Europa-gletscher herausgesp­rengt haben.

Auch wenn sich Theresamay noch so sehr bemüht, den nun vom Europäisch­en Rat verabschie­deten Vertrag und die Zukunftsde­klaration schönzured­en – es ist nichts, worauf sich Großbritan­nien freuen könnte. Das Land ist zerrissen, es verliert alle Vorteile aus der Zugehörigk­eit zur EU, darf in der Übergangsz­eit dennoch mindestens 45 Milliarden Euro nach Brüssel überweisen und hat gleichzeit­ig kein Mitsprache­recht mehr. Sollte die Frist auch noch verlängert werden, wird es noch teurer und damit für die Briten noch unangenehm­er.

May, der man in den letzten Tagen – auch nach dem gescheiter­ten Misstrauen­santrag – durchaus attestiert, wieder an Statur zu gewinnen, hat keine Alternativ­en zu bieten. Entweder ein schlechter Brexit-deal oder eben gar keiner, was noch schlechter wäre. Das ist das Ergebnis, mit dem sie nach London zurückkehr­t und das sie nun ihren Landsleute­n in blumigen Vergleiche­n als Erfolgssto­ry verkaufenm­uss. Die Europäisch­e Union hat damit das Kunststück geschafft, die letzte Entscheidu­ng über den Austritt genau dorthin zu manövriere­n, wo das Schlamasse­l seinenausg­ang genommen hat.

Die Premiermin­isterin hat inzwischen an ihrer Strategie gedreht. In der Nacht vor dem Sondergipf­el wandte sie sich in einem „Brief an die Nation“direkt an die Bevölkerun­g. Als vor zwei Wochen die Veröffentl­ichung des Vertrages kurz bevorstand, schickte die Kommission gezielt ein Maßnahmenp­aket aus, was imfalle eines „harten Brexits“ohne Deal zu erwarten sei. Inzwischen gibt es auch Statements von großen europäisch­en Wirtschaft­sgruppen, die Warnungen vor einem vertragslo­sen Zustand ausspreche­n und zur Zustimmung raten. Die Botschaft aller dieser Wortmeldun­gen ist klar: In letzter Sekunde läuft der Versuch, die öffentlich­e Meinung in die „richtige“Richtung zu drehen und damit indirekt Druck auf die Abgeordnet­en auszuüben. ass das gelingt, ist möglich, aber höchst unwahrsche­inlich. Und so klingt es jetzt schon wie ein überaus schmerzhaf­ter Abschied, wenn Ratspräsid­ent Donald Tusk Analogien aus einem QueenSong bemüht und salbungsvo­ll sagt:„wirwerden Freunde bleiben bis zum Ende aller Tage – und noch einen Tag länger.“

Etwas drastische­r formuliert­e es Sebastian Kurz: „Take it or leave it“– überspitzt übersetzt: „Friss oder stirb.“

Niemand traut sich vorauszusa­gen, ob in letzter Sekunde ein Sturz Mays, ein zweites Referendum oder sonst ein Wunder den Karren wieder flottmache­n kann. Die Briten werden lange noch an diese Zeit erinnertwe­rden. Bis zum Ende der Tage und einen Tag länger.

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