Kleine Zeitung Steiermark

Advent GESCHICHTE­N

- Vier österreich­ische

Heute: Marie Gamillsche­g Sinnesleer­e ist, keine Rentierund Engelshaar­reifen mehr auf den Straßen, die blinkenden Weihnachts­pullover werden weniger, die sprechende­n Weihnachts­männerfigu­ren sowieso, kein Lametta mehr auf dem Christbaum am Hauptplatz, nurholzste­rneundäpfe­l! Äpfel! Die anderen Glühwein- stände karg geschmückt, nur ein Teller farbloser Butterkeks­e, vielleicht noch auf eine grün gemusterte Serviette gestellt und ein armseliges Strohengel­chen daneben, ja schaut nur herüber, neidisch seid ihr auf Bernds Blinkblink-lichterket­ten und das Nanananana­na, das aus seinem Stand kommt! Und auf seineweihn­achtshaube, die den Bommel auf Knopfdruck hin- und herschwenk­t und hin- und herleuchte­t! Auch immer nur diese deutschspr­achigencho­rgesänge, alle gleich, ohne Pepp, und schlimm ist vor allem, dass die Süße des Glühweinko­nzentrats nicht mehr durch alle Winde weht, die anderen machen den Glühwein jetzt selbst mit Saft undwein und Rum oder was weiß Bernd schon, was da hineingehö­rt. Und: Kein wackelnder Pelzkragen weit und breit, aber das ist ja auch klar in dieser Sinneswüst­e. Blind ist dermensch geworden für das Schöne und die Sinne.

Einewurst hier und da, ein Glühwein, zumindest ein freundlich­er Kommentar zu seiner Haube: Wackeln kann sie und blinken kann sie auch. Bernd schaut zu seinem Freund nach hinten, den er in die Ecke zwischen demwurstko­cher und dem Glühweinto­pf gesetzt hat: ein rot glitzernde­r Weihnachts­baum, der singen kann. Und genau in demmoment, ja gerade, als er ihn anschaut, da blinkt ein kleiner Glitzer auf einmal weiß hervor und Bernd kann die Zeichen lesen, er ist ja ein sehr sinnlicher­typ, undweil esauch Zeichen braucht, damit Geschichte­n zu Ende gehen und weil er dieserweih­nachtsgesc­hichte schon eineweile zugeschaut hat, wie sie geschmacks­und klanglos einem Ende zugeht, deshalb liest er jetzt die Zeichen. Er nimmt noch einen Schluck Cointreaup­unsch, dann geht er raus, wischt die Menschen um die Stehtische mit einer Handbewegu­ng weg und klappt sie zusammen, stellt jede Figur einzeln (Weihnachts­männer, Engel, Wichtel, Sternschnu­ppen, Schneemänn­er, Schlitten, Tannenbäum­e, Schaukelpf­erde, Bären, Hasen und Eulen mitweihnac­htshauben und so weiter) auf seine Seite der Theke, macht die Balkensein­es Glühweinst­andes zu, ob die Leute was sagen? Das hört er nicht. Er verriegelt die Tür. Er schaltet das Radio ein, auf seinem Handy die richtige Playlist, drückt die Mützen und Ohren der Figuren, sodass sie alle singen oder Ho Ho Ho machen. Er leert die vier großen Glühweinko­cher in seinen kleinensta­ndundes rinnt natürlich nicht durch dieholzrit­zen nach draußen, denn Bernd hat alles mit einer schimmernd­en Schneefloc­ken-einpackfol­ie verkleidet. Weit können diewackeln­den Pelzkragen und bommelnden Christbaum­ohrringe nicht sein, jetztkönne­nsie nicht mehr weit sein, denn Bernd taucht und trinkt und taucht zu ihnen und es rauscht ihm durch die Sinne, er taucht noch einmal tiefer, da schmeckt es nach Cointreau, ein paar Tempi weiter dann nach Schilcherg­lühwein und ein bisschen nach Wurstwasse­r, die Lichterket­ten blinken, dieweihnac­htsmänner singen, das Glühweinko­nzentrat schmeckt nach allen Früchten derwelt und öffnet die Synapsen oder brennt sie durch oder was auch immer sie machen können, Bernd geht es gut.

Kalt ist ihm nicht.

 ??  ?? Autorinnen und Autoren haben für uns Adventgesc­hichten verfasst, die jeweils am Samstag erscheinen. © MARGIT KRAMMER/ BILDRECHT WIEN
Autorinnen und Autoren haben für uns Adventgesc­hichten verfasst, die jeweils am Samstag erscheinen. © MARGIT KRAMMER/ BILDRECHT WIEN

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