Es fischelt im Land der Karpfengesichter
Zwischen plumper Faschismus-satire und unheimlichem Geister-reigen. „Dieweiden“von Johannes Staud leiden an ihrer Heterogenität und an der Regie.
Die
Tochter aus einer jüdischen Familie besucht die Heimat ihrer Vorfahren. Mit ihrem Freund Peter unternimmt Lea aus New York eine Flussfahrt entlang eines als Donau erkennbaren Stroms, der sich durch eine braune Landschaft wälzt. Heimattümelei, der Hass auf alles Fremde sind hier so lebendig wie zu den finstersten Zeiten. Der daherschwadronierende Komponist Krachmeyer ist ein Salonfaschist, der Richard Wagner im Munde führt. Burschenschafter stimmen auf einer Hochzeitsfeier das Vorspiel zu den „Meistersingern von Nürnberg“an, Populisten und Honoratioren sind als Wiedergänger der mörderischen Ideologie leicht zu identifizieren. Die sich allzu gern der Verführung hingebende, verdummte Volksmasse verwandelt sich in Karpfen. Das symbolische Bild und der Befund sind eindeutig: Es fischelt geistig.
Komponist Johannes Maria Staud und Librettist Durs Grünbein treten in große Fußstapfen. Die satirisch-ab- gründige Gesellschaftsanalyse hat in Österreich Tradition, nicht nur Thomas Bernhard hat gezeigt, wie man Groteske, Analyse und politische Mahnung vernäht. Gemessen an solchen brillanten Überzeichnungen ist Durs Grünbeins Text plump. Obwohl von allerhand Natursymbolik durchtränkt, bleiben „Die Weiden“bis zum Ärgernis unsubtil.
Die Musik ist heterogen gestaltet, arbeitet ausgiebig mit elektronischen Verfremdungen, Sprechpassagen und tonalen Einschüben. Ein jazziger Song charakterisiert die „andere Welt“der New Yorker Familie, während ein Musical-schlager dem Land der Niedertracht seine Maske liefert. Ob man es sich mit solcher, an der Denkweise der Frankfurter Schule orientierter ästhetischer Diffamierung nicht zu einfach macht? Dass Staud anders kann, zeigt der Abend auch. Dass seine Klangsprache enormes dramatisches Potenzial hat, hat er in seinen Orchesterwerken bewiesen. Mit Geräu- PÖHN/STAATSOPER, APA schen, faszinierenden Bläserpassagen, Elektronik und entfesseltem Schlagzeug kreiert Staud Klangszenen, die tiefer blicken lassen als das platte Geschehen. Er legt Spuren zur deutschen Romantik und zur Gothic Novel. Das Orchester unter dem famosen Ingometzmacher liefert immer wieder grandiose Abschnitte und sinistre Spannung.
Regisseurin Andrea Moses, die schon viel bessere Stücke ruiniert hat als „Die Weiden“, verschärft mit ihrer naturalistisch-grotesken Bebilderung die Probleme des Stücks, das sich nicht zwischen Satire und Gespensterreigen entscheiden will. Rachel Frenkel ist trotz angesagter Indisposition ausgezeichnet, Tomaszkonieczny vergibt als Peter die Verwandlung zum Feind – bei ihm ist von Beginn an klar, dass mit diesem Menschen etwas nicht stimmt. Andrea Carroll und Thomas Ebenstein sind ein starkes zweites Paar, während Udo Samel den widerwärtigen Krachmeyer als Ekel nach Vorschrift gibt. Martin Gasser