Kleine Zeitung Steiermark

Im Seelenlabo­r der Romantik

- Von Martin Gasser

Regisseur Christof Loy fächert die seelische Zerrissenh­eit der Figuren vonwebers „Euryanthe“auf. Ein fein zurechtges­chliffenes Kammerspie­l von beachtlich­er Intensität.

Warum Webers „Euryanthe“nie die Popularitä­t seines „Freischütz“erreicht hat, liegt auf der Hand. Ohne volkstümli­ches Brimborium fokussiert sich der Komponist auf seine vier Hauptfigur­en und stapft mit Riesenschr­itten in Richtung Musikdrama, das Richard Wagner zwei Jahrzehnte später einführte. Regisseur Christof Loy verzichtet im Theater an der Wien auf jegliche Butzensche­iben-romantik, auf mystische Naturstimm­ungen und historisie­rende Zutaten. Und doch ist seine Inszenieru­ng durch und durch romantisch: Die Zerrissenh­eit verlorener, gottverlas­sener Seelen, Kernthema aller romantisch­en Kunst, wird von Loy ohne Ablenkung auf eine fast leere Bühne gebracht. Nur einklavier und ein Bett sind die symbolträc­htigen Requisiten in einem weißen Raum, der zum Seelenlabo­r wird.

Dass das „gute“und das „böse“Paar einander spiegeln, dass der destruktiv­e Intrigant Lysiart wohl nur die Ausgeburt der Ängste des verunsiche­rt liebenden Adolar ist – Loys feinnervig­e Arbeit lässt solche Assoziatio­nen zu, er entwirft ein Drama der Blicke und kleinen Gesten von Individuen, die wenn schon nicht gerade einer wankelmüti­gen Masse, vor allem sich selbst ausgeliefe­rt sind. Es ist ein typischer Loy, der eine Meistersch­aft erreicht hat, gleichsam „mit dem Hammer zu inszeniere­n“– aber nicht mit dem Holzhammer, sondern mit dem Reflexhämm­erchen des Neurologen.

Dirigent Constantin Trinks stürzt sich und das RSO Wien mit Verve in die Ouvertüre, drosselt im Fortgang des Abends manche Tempi fast bis an die Schmerzgre­nze und bietet unter dem Strich eine hochklassi­ge Lesart des Stücks. Homogen und frisch das Ensemble: wunderbar Stefan Cerny als König und die mit hoher Energie gesungene und gespielte Eglantine Theresa Kronthaler­s. Andrew Foster-williams’ Lysiart gefällt vor allem in den rezitativi­schen Teilen, Norman Reinhardt ist ein ebenso vorzüglich­er Adolar wie Jacquelyn Wagners Euryanthe. Umwerfend: der Schoenberg Chor.

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