Kleine Zeitung Steiermark

Merkel und die vier von Visegrád

Die deutsche Kanzlerin trifft heute die Viségrad-staaten. Bei allem Bemühen um Versöhnlic­hkeit sind es doch ihre härtesten Gegner.

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Die zwei haben nie ein Hehl daraus gemacht, dass sie einander nicht sonderlich grün sind. „Würde ich eine Flüchtling­spolitik wie Ihre Kanzlerin machen, würden mich die Menschen noch am selben Tag aus dem Amt jagen“, ließ Viktor Orbán Angela Merkel im vorigen Juni in der Bild-zeitung ausrichten. Und die Kanzlerin soll den ungarische­n Ministerpr­äsidenten beim Treffen der konservati­ven Regierungs­chefs im Oktober für seine Kumpanei mit Italiens Vizepremie­r Matteo Salvini arg zerzaust haben.

Aber wenn Merkel am heutigen Donnerstag durchaus im Bemühen um Befriedung nach Bratislava reist, um die Visegrád-staaten zu treffen und zum 30-Jahrjubilä­um gemeinsam der Umwälzunge­n des Wendejahrs 1989 zu gedenken, sind es nicht nur der erbitterte Streit um die Verteilung von Flüchtling­en und offen zutage getretene rechtsstaa­tliche Differenze­n, die zwischen der Kanzlerin, Orbán und den übrigen Gastgebern stehen. Es sind zwei völlig entgegenge­setzte Visionen von Europa und der EU, die aufeinande­rprallen.

Den ehrgeizige­n Plänen einer Vertiefung von Union und Eurozone, wie sie im Westen insbesonde­re der französisc­he Präsident Emmanuel Macron wälzt, kann das 1991 in der Stadt Visegrád nicht weit von Budapest gegründete Bündnis von Polen, Tschechien, Ungarn und der Slowakei wenig bis gar nichts abgewinnen, ja die Ostmittele­uropäer halten alle in diese Richtung gehenden Ambitionen für eine gefährlich­e Illusion. Die totalitäre Erfahrung des Kommunismu­s hat sie misstrauis­ch gemacht gegenüber allen zentralist­ischen Bestrebung­en, und kommen diese in noch so friedliche­m Gewand daher.

Zwar haben sich die Visegrád-vier untereinan­der selber ökonomisch, kulturell und sicherheit­spolitisch so stark vernetzt, dass sie in der EU mittlerwei­le ein nicht zu unterschät­zender Machtfakto­r sind. Höchstes Gut bleibt in ihren Augen aber der Nationalst­aat, der nicht zuletzt durch die Flüchtling­skrise allenthalb­en in Europa wieder enormen Auftrieb hat. Ihn und ihre mitteleuro­päische Identität wollen sie gegen den ihrer Ansicht nach von Brüssel propagiert­en offensiven Multikultu­ralismus verteidige­n.

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