Was für eine Union wollen wir?
Die Empfehlung an den EUGH, Deutschland seine Autobesitzer gegenüber Ausländern bevorzugen zu lassen, kommt zu einer kritischen Zeit: Wie eng soll die EU noch werden?
Nils Wahl, Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof, tänzelt in seiner Empfehlung, warum das Eu-gericht die Klage Österreichs gegen die deutsche Pkwmaut abweisen soll, geschickt mit dem juristischen Florett von Argument zu Argument. An einer Stelle aber, als es darum geht, wie die Idee eigentlich zustande gekommen ist, dass deutsche Autofahrer nichts, ausländische aber sehr wohl eine Gebühr zahlen sollen, da packt der Schwede plötzlich den politischen Bihänder aus. „Diese Aussagen sind wohl – in Abwandlung eines bekannten Zitats – Ausdruck eines Gespensts, das seit einigen Jahren in Europa umgeht: das Gespenst des Populismus und des Souveränismus“, schreibt Wahl über die Idee, die Horst Seehofer, damals CSU-CHEF, im deutschen Wahlkampf 2013 geboren und in die Regierung Merkel mitgenommen hat.
Der Generalanwalt hat recht: Dieser Gedanke – wir haben die Autobahnen schon über unsere Steuern bezahlt, jetzt sollen die anderen blechen, die da durchs Land rasen – ist es, der das deutsche Mautprojekt bis heute prägt. Jetzt ist es gut möglich, dass es den Deutschen gelungen ist, das durch geschickte Legistik und Druck auf die Kommission technisch mit der Euvorgabe auf einen Nenner zu bringen, dass ein Staat Bürger anderer Mitgliedstaaten nicht schlechter behandeln darf als seine eigenen. Wahl sieht das so, und in den nächsten Tagen werden die Richter am EUGH entscheiden, ob sie ihm folgen.
Aber lassen wir diese rechtlichen Feinheiten, die Frage, ob die Mitgliedstaaten das können, einmal beiseite – und fragen wir uns, ob sie es denn sollten. Wollen wir in einer Union leben, in der die bald nur noch 27 Staaten immer neue Wege suchen, ihre Leistungen den anderen in Rechnung zu stellen, ihre Infrastruktur nur wieder „für unsere Leut“zu reservieren?
Es wäre ein Rückschritt, eine „Desintegration“, wie es Europarechtler Walter Obwexer be- schreibt. Heute führen die Deutschen die Ausländer-maut ein, morgen wir eine Studiengebühr für Nichtösterreicher, dann kommt irgendwer auf die Idee, dass Wohnungen doch bitte zuerst den Leuten angeboten werden müssen, die schon hier sind – und auf einmal sind wir zurück in der Kleinstaaterei. as Argument „Aber wir haben ja mit unseren Steuern dafür gezahlt!“ist verführerisch – und dass es inzwischen auch in Deutschland zieht, dem europäischen Kernland schlechthin, zeigt, an welch sensiblem Punkt die Union gerade steht. Setzen sich die Kleinstaatler durch, die „die Kontrolle zurückholen“, lieber nationale Lösungen als mühsame Brüsseler Kompromisse wollen – um den Preis, Weltmächten und -märkten allein ausgesetzt zu sein statt in einer Union? Oder setzt sich die Erkenntnis durch, dass in einem gemeinsamen, grenzenlosen Markt auch Infrastrukturen wie Straßen oder Universitäten europäische sein müssen – mit gemeinsamen Maut- oder Studiengebühren? Nicht das schlechteste Thema für einen Euwahlkampf eigentlich.
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