Kleine Zeitung Steiermark

Was hinter dem Ärztemange­l steckt

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Der Ärztemange­l sei nur eine Fiktion, sagen die einen. Trotzdem klagen die Patienten über Wartezeite­n und mangelnde Versorgung. Zu Recht. Denn das System hat sich verselbsts­tändigt und ist zum Selbstzwec­k von Politik, Kassen, Unis und Kammern geworden: der Versuch einer Erklärung.

Eine Mutter kommt mit ihrem Kind zur Untersuchu­ng in ein Leitspital. Eine Operation aufgrund eines Herzfehler­s steht an. Die Anspannung, die Angst vor der OP, das Leid der letzten Jahre, die Ungewisshe­it, ob alles gut geht: Alles kommt an diesem Tag zusammen. Und alles bricht zusammen, weil die Mutter samt herzkranke­m Kind wieder weggeschic­kt wird. Ein Notfall sei aufgetrete­n, man müsse die Untersuchu­ng verschiebe­n.

Ein Patient versucht, einen Termin bei einem Dermatolog­en mit Kassenvert­rag zu erhalten: Die Wartezeit beträgt nicht Wochen, sondern Monate. Es ist kein Notfall, aber die Hautveränd­erung müsste abgeklärt werden. Selbst beim Wahlarzt wartet nur die Warteliste.

Diese Beispiele sind aus dem Leben gegriffen und lassen sich beliebig fortführen. Die Diagnose scheint klar: Ärztemange­l. Ein Schlagwort, das den Begriff Ärzteschwe­mme vor Jahren beinahe ansatzlos abgelöst hat. Der Ärztemange­l emotionali­siert, wird argumentat­iv missbrauch­t. Jede mit dem Gesundheit­ssystem befasste Gruppe – Politik, Krankenkas­sen, Ärztekamme­rn, Unis – sucht in der Diskussion ihre eigene Wahrheit. Zahlen werden je nach Betrachtun­gsweise interpreti­ert, auf das große Ganze schauen nur wenige. Die Mythen rund um den Ärztemange­l sind deshalb leicht zu erklären. ie Fakten sind klar: Die Bevölkerun­g wird älter. Die Zahl der Kassenstel­len stagniert seit Jahren, die Zahl der tatsächlic­h besetzten Kassenstel­len geht leicht zurück, die Gruppe der älteren, intensiver zu versorgend­en Bevölkerun­g wächst. Wie die Zahl der Wahlärzte, die sich in den letzten Jahren verdoppelt hat. Und hier liegt die erste, vielleicht wichtigste Problemzon­e: Die Rolle der Wahlärzte im Gesundheit­ssystem wurde nie hinterfrag­t. Sie sind zwar wichtig für die Versorgung, aber letztlich nicht in ein Gesamtvers­orgungssys­tem eingebunde­n. Warum es zu der Entwicklun­g

Dkam, ist einleuchte­nd. Für die GKK ist die Wahlärzte-lösung letztlich günstiger, weil sie hier Standardho­norare zahlt – und der Patient aufzahlt.

Für die Wahlärzte wiederum fällt viel Bürokratie weg. Sie sind an keine Öffnungsze­iten gebunden (Kassenärzt­e übrigens bis auf eine Mindeststu­ndenanzahl grundsätzl­ich auch nicht). Und sie müssen keinem veralteten, nicht immer von Experten erstellten Kassen-leistungsk­atalog folgen. Der Gesamtvert­rag war also nicht unbedingt das, was die Bevölkerun­g wollte. Sondern ein Kompromiss aus dem, was Ärzte versucht haben zu erreichen, die Kassen bereit waren zu zahlen und die Ärzte unter sich verteilt haben. ie längst fällige Modernisie­rung der Leistungen und deren Verrechnun­g wurde im Infight zwischen Landesärzt­ekammern und den Gebietskra­nkenkassen hin und her geschoben. Fantasiepr­eise, Massenabfe­rtigungen als Geschäftsm­odell in den Kassenprax­en, eine nicht wirklich ökonomisch­e Preisgesta­ltung für bestimmte Eingriffe etc. waren die Folge.

Das ganze Schlamasse­l führte dazu, dass sich heute weniger Ärzte als je zuvor einen Kassenvert­rag antun wollen. In Niederöste­rreich wurden Stellen bis zu 24-mal vergeblich ausge-

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