Umbenennung heißt nicht, Geschichte auszulöschen
Nach vier Jahren intensiver, finanziell mit 175.000 Euro bestens dotierter Forschung über historisch belastete Straßennamen in Graz hat die Stadtregierung nun – nachdem der Bericht schon ein Jahr vorlag – endlich Konsequenzen gezogen. Es soll auf der Website der Stadt eine Informationsseite eingerichtet werden, eine neu adaptierte Straßenkarte mit Informationen ins Internet gestellt, die Grazer Schulbibliotheken zehn Straßennamenbücher erhalten, alle (!) personenbezogenen Straßen in Graz mit jeweils zwei Erklärungstafeln versehen werden.
Letzteres scheint ein vernünftiger Weg zu sein, ist bei näherer Überlegung aber auch nicht ohne Tücken. Welcher Text sollte auf diesen Tafeln stehen? Etwa bei Conrad von Hötzendorf: „Er war als Kriegstreiber und unfähiger Feldherr einer der Totengräber der k. u. k. Monarchie“? Bei einem als „höchst bedenklich“eingestuften Namen, Paul Jaritz, gibt es bereits eine Informationstafel. Soll man dazuschreiben: „Jaritz war bereits 1932 Mitglied der NSDAP und wurde wegen illegaler nationalsozialistischer Betätigung verhaftet? 1934 floh er ins Altreich nach München?“Ich möchte ihm das nicht antun. Man kann wohl annehmen, dass auch seine noch lebenden Verwandten und Nachkommen eine Umbenennung der Straße einer öffentlichen Darstellung seiner belasteten Vergangenheit vorziehen würden.
Was aber die einfachste und wichtigste Folgerung gewesen wäre, darf nicht geschehen: Keine einzige Straße soll umbenannt werden, obwohl die Historikerkommission zwanzig als „höchst bedenklich“eingestuft hat. Eine der Begründungen: Die Geschichte solle nicht ausgelöscht werden, man wolle vielmehr aufklären, auch über dunkle Seiten der Vergangenheit.
Wie kann man das verstehen? Straßenbenennungen rückgängig zu machen, heißt ja nicht, die Geschichte auszulöschen. Auch die Erinnerung an Hitler ist nicht verschwunden, obwohl die über hundert zentralen Plätze in deutschen und österreichischen Städten (so auch der Hauptplatz von Graz) nach Kriegsende rasch umbenannt wurden. Umbenennungen von Straßen bedeuten auch kein Schlechtmachen der Personen, nach denen sie benannt wurden. Es heißt nur, ihnen nicht mehr die besondere Ehre zuzubilligen, dass eine Straße ihren Namen trägt. Umbenennungen dieser Art waren und sind in vielen Ländern gang und gäbe; selbst Millionenstädte (s. Istanbul, St. Petersburg) wurden mehrfach in ihrer Geschichte umbenannt. emerkenswert die Begründung der Ablehnung von Umbenennungen durch Fpöklubobmann Armin Sippel: „Was wir ablehnen, ist die Arroganz der Gegenwart, die sich anmaßt, Personen aus dem heutigen Licht zu beurteilen.“Ja, passierte das nicht mit Zehntausenden von ehemaligen Kz-leitern, Nazis usw., die nach dem Krieg verurteilt wurden? Soll man die Taten der Nazis nur aus der seinerzeit herr-
Bschenden Nazi-ideologie beurteilen? Es hat wohl keiner derer, nach denen Grazer Straßennamen benannt wurden, Verbrechen begangen. Aktive Mitläufer waren sie aber wohl allemal. ie Vorgangsweise der Stadt Graz ist auch aus demokratiepolitischer Hinsicht bemerkenswert. Bis heute ist der umfangreiche, angeblich 1000 Seiten dicke Bericht nicht der Öffentlichkeit zugänglich. Steht etwas darin, das sie nicht erfahren sollte? Soll er noch entsprechend überarbeitet werden? Ein Grundprinzip wissenschaftlicher Arbeit – im Unterschied zu kommerzieller und politischer Auftragsforschung – besteht ja darin, dass ihre Befunde ausnahmslos der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Warum hat man die Entscheidung über Umbenennungen nicht der Bevölkerung der betroffenen Straßen vorgelegt? Vermutlich wären Umbenennungen in den meisten Fällen wohl mehrheitlich abgelehnt worden. Derartige Abstimmungen hätten jedoch zweifellos zu intensiven Diskussionen geführt. Diese hätten mehr zur allgemeinen Aufklärung beigetragen als Straßentafeln, die niemand liest, Bücher, die in Bibliotheken verstauben, Internetseiten, die kaum jemand aufruft.
In „Navigator Allgemeinwissen“kann man lesen: „Von einem ‚Hornberger Schießen‘ wird immer dann gesprochen, wenn eine unter großem Aufwand und Bimbamborium vorgesehene Unternehmung im Sande verläuft und somit floppt.“
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