Ein schwaches Bild im großen Festivalzirkus
Die letzte Runde von Direktor Kosslick war ohne Glück und Glanz. Die Berlinale bot heuer nur Mittelmaß. Morgen gibt es Bären. Auch einen für Margarethe Tiesel?
Wollte er den Abschied mit seinen alten Regiefreunden feiern? Wurde er als Lame Duck von Hollywood nicht mehr hofiert? Wollte er es mit einem schwachen Programm seinen Nachfolgern leicht machen? Vielleicht hatte Dieter Kosslick (70) auch einfach keine Lust mehr nach 18 Jahren als Berlinale-direktor.
Ein allenfalls mittelmäßiger Wettbewerb wie heuer gibt im internationalen Festivalzirkus ein schwaches Bild ab, darüber kann das traditionelle Alleinstellungsmerkmal mit rund 340.000 Zuschauern nicht hinwegtäuschen. Als schwerer strategischer Fehler entpuppte sich, Netflix in den Wettbewerb zu hieven, ohne die klare Zusage einer Kinoverwertung vor dem Streaming-start zu haben. 180 Filmtheater-betreiber protestierten prompt mit einem empörten Brief: Bitterer ging es auf einer Berlinale wohl kaum je zu.
Da dürfte selbst dem chronisch gut gelaunten Festivalchef das Lachen vergangen sein. Ebenso wie bei dem überraschenden Rückzieher des chinesischen Beitrags „One Second“von Zhang Yimou, wodurch das Bären-rennen bereits heute, einen Tag früher als geplant, endet. Probleme der Postproduktion werden als Grund genannt – setzt die Auswahlkommission auf ungare Werke?
fällt bescheiden aus. Die Stimmung so trübe wie das regnerische Wetter. Wow-effekte oder große Würfe suchte man vergeblich. Die wenigsten Beiträge werden je das Licht der Leinwand erblicken. Die meisten sind nach dem Einrollen des roten Teppichs bereits vergessen. Angela Schanelec etwa begnügt sich in „Ich war zu Hause, aber …“mit biederen Banalitäten des Alltags. Einer Alleinerzieherin fällt es immer schwerer zu akzeptieren, dass ihr Sohn ein eigenes Leben führt. Im Kritikerspiegel bekam der Langweiler gleich viermal die verdiente Note „poor“.
Gegenliebe stieß Fatih Akins blutiges Serienkiller-drama „Der Goldene Handschuh“, bei dem sich fast alle Daumen senkten. Für Margarethe Tiesel als gepeinigtes Mordopfer könnte das zur Bären-chance am Samstagabend führen, schließlich lösen rigorose Schmuddelkinder im Wettbewerb gerne Schutzinstinkte der Jury aus – und die Leistung der Grazerin ist einmal mehr hochkarätig.
Das gilt auch für Catherine Deneuve, die in „L’adieu à la nuit“eine Großmutter spielt, deren geliebter Enkel sich Islamisten anschließen will. Weshalb dieses formvollendete Werk von Altmeister André Téchiné (75) nur „außer Konkurrenz“läuft, bleibt Geheimnis der Festival-regie. Die Diva schien die Degradierung nicht zu stören. Ebenso wenig das Rauchverbot in Hotels. Bei der Interview-audienz im vornehmen Adlon griff sie im 30minütigen Gespräch gleich dreimal zur Zigarette: „Sollen sie eben später durchlüften!“
auch Carlo Chatrian empfehlen. Der aus Turin stammende Nachfolger auf dem Intendantenposten hat den großen Vorteil, dass die 70. Berlinale erst nach dem Oscar stattfindet und Hollywood-stars damit verfügbarer sind. Weshalb die Abschiedsgala von Dieter Kosslick so erstaunlich glück- und glanzlos ausfiel, erfährt man vielleicht im Sommer. Dann erscheint dessen Autobiografie „Schön auf dem Teppich bleiben“.