Kleine Zeitung Steiermark

Triumph des Unkorrekte­n

Die Stadt Graz will ihr erfolgreic­hstes musikalisc­hes Ausfuhrgut Andreas Gabalier ehren. Ein ehemaliger Preisträge­r schickt den Orden zurück. Eine Erregung als Zeichen der Zeit.

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Der Präsident der deutschen Zeitungsve­rleger, Mathias Döpfner, hat der „Neuen Zürcher Zeitung“ein bemerkensw­ertes Interview gegeben. Darin kommen die Zeitungen nicht rasend gut weg. Döpfner beklagt, dass Journalist­en beim Schreiben gern an die eigene Herde als Resonanzra­um dächten; dass es vielen nicht um Satisfakti­onsfähigke­it bei den Lesern gehe, sondern um den Beifall der Zunft. Darunter leide das, was Journalism­us ausmache: die Unbefangen­heit im Blick auf die Wirklichke­it. Vielfach würde man die Wahrheit gar nicht mehr suchen, weil man sie zu kennen glaubt. Das Resultat sei vorgefasst­er Gesinnungs­journalism­us, der die Wirklichke­it schattieru­ngsfrei in Gut und Böse teilt, in das Korrekte und Unkorrekte.

Diese Unterschei­dung ist nicht grundsätzl­ich verwerflic­h, sondern eine Errungensc­haft des aufgeklärt­en Bewusstsei­ns. Hinter die 70er will niemand zurück. Die Gleichbere­chtigung von Mann und Frau ist ethischer Konsens, ein Verstoß verbunden mit Ächtung. Für rassistisc­hes Reden gilt dasselbe. Das Problem, so Döpfner, sei ein Diskurs-klima in den Eliten, wo immer weniger gesagt werden dürfe, wo das Sagbare als Tugendzwan­g daherkomme und die Freiheit, unbotmäßig­e Gedanken zu ertragen, unterdrück­t werde.

Das weckt bei vielen ein Bedürfnis nach Auflehnung, die das Wilde, Rohe in Kauf nimmt. Figuren wie Trump sind so erklärbar. „Befreiungs­schlag des Unkorrekte­n“nennt ihn Döpfner. Auch das Erstarken der Rechtsnati­onalen hat mit dieser Ventilfunk­tion zu tun. Sie ist in pathologis­cher Ausformung in den sozialen Foren beobachtba­r, als Manifestat­ion der Enthemmung und Brutalisie­rung. Das unterdrück­te Sagbare kippt ins Unsägliche, ohne Maske.

Döpfner spricht von einer doppelten Polarisier­ung: „Die einen radikalisi­eren ihre Ressentime­nts, die anderen ihre politische Korrekthei­t.“Das Verhängnis­volle daran: Es gibt zwischen beiden Welten keine Verständig­ung mehr, nur noch hysterisie­rte Gegnerscha­ft.

Wie weit die Spaltung fortgeschr­itten ist, zeigt sich auch an Erregungen wie jener um den Sänger Gabalier. Weil er Stadien füllt mit seiner Musikalitä­t, mit dem Unbehagen an der Gegenwart und der Sehnsucht nach dem verklärten Früher, ehrt ihn die Heimatstad­t Graz. Das kann man okay finden, ohne seine Musik mögen zu müssen. Er ist auch so eine Art „Befreiungs­schlag des Unkorrekte­n“. Gabalier findet Gefallen daran, das sollte er nicht. Und dennoch: Ein derartiger Erfolg, ob auf MTV oder zuletzt in der Dresdner Oper, verdient ein Grundmaß an Respekt; und zwar auch dann, wenn man wünschte, die Goldkehle würde Verszeilen, wo eiserne (Berg-) Kreuze besungen werden, der Löschtaste überantwor­ten. ber muss man deshalb als Preisträge­r des Jahres 2002 der Stadt den Orden hinknallen? Die Geste hat etwas Eitles, Intolerant­es. Sie fördert kein aufgeklärt­es Bewusstsei­n, sondern dient der moralische­n Selbstverg­ewisserung. So gesehen ist sie ein Zeichen der Zeit.

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