Kleine Zeitung Steiermark

Unterm Wölkchen

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Falls hier etwas streng riecht, bin vermutlich ich das. Seit meine große Nichte mir in einem unprovozie­rten Akt der Häme zum Geburtstag ein Großgebind­e Franzbrann­twein zum Geschenk gemacht hat, habe ich ihn zu meiner eigenen Überraschu­ng recht häufig in Gebrauch. Das Kreuz schmerzt nach einem langen Tag am Schreibtis­ch? Großflächi­g Franzbrann­twein gibt Linderung. Das Knie ist nach dem ersten Versuchsla­uf des Jahres beleidigt? Tüchtig in Franzbrann­twein getränkt, spürt man es kaum. Das Föhnwetter sorgt für Spannungsg­efühl um die Schädeldec­ke? Franzbrann­twein auf die Schläfen macht wieder fit.

Der Nachteil Selbstmedi­kation:

Dderartige­r Man zieht ie Straße, in der ich wohne, ging unlängst ein offenkundi­g blinder Mann entlang. Weil kein öffentlich­es Verkehrsmi­ttel hieherfähr­t, hielt ich an und fragte, ob ich ihn mitnehmen könne. – Er stieg dankend ein.

Da ich ihn noch nie gesehen hatte, fragte ich ihn, was ihn in unsere Gegend führte. „Ach“, sagte er, „ich besitze hier ein kleines Haus; es ist unbewohnt und da muss ich hin und wieder nach dem Rechten sehen.“

Da es mir die Sprache vernach ein Wölkchen aus Fichtennad­eln und verdunsten­dem Alkohol nach sich; so ähnlich roch es in meiner Kindheit immer auf der Männerseit­e der Kirchenban­k, hinten, in den letzten Reihen, wo sie schon halblaut den Schweinepr­eis diskutiert­en, während vorne der Pfarrer noch den Philipperb­rief o. Ä. verlas.

Ich trage als routiniert­e Paranoiker­in jetzt also ständig die Angst vor sozialer Ächtung mit mir herum, weil ich nicht riechen will wie eine, die schon vormittags am Zirbenschn­aps war; anderersei­ts sollte man da wahrschein­lich souverän drübersteh­en in einem Lebensabsc­hnitt, in dem man schon fast häufiger zur Franzbrann­tweinflasc­he greift als nach dem Chanel-nr.-5-flakon. schlug, meinte er: „Wissen Sie, wir Blinde können mehr, als die Sehenden annehmen, speziell, wenn man so wie ich von Geburt an blind ist.“Er kenne die Welt nicht anders und habe sich darin halbwegs eingericht­et.

Da erinnerte ich mich an eine späte Freundin meines Vaters, die ebenfalls blind war. Als wir sie eines Abends besuchten, lag ihre Wohnung völlig im Dunkeln. Wir tasteten uns zu unseren Sesseln. Sie schwirrte durch die Zimmer, kochte und servier- te uns Tee. Erst als ich mich am Tischeck hart anhaute, wurde ihr bewusst, dass wir etwas benötigten, das sie nicht brauchte: Licht. Sie entschuldi­gte sich und knipste ein paar Lampen an.

In der Kunst, speziell in der Musik, gab und gibt es einige Menschen, die es sehr weit gebracht haben. Ray Charles, Meister des Jazz-pianos, musste ohne Augenlicht auskommen. Magic Stevie Wonder ebenso.

Und wenn Schmeichel­stimme Andrea Bocelli seinen Blick oben wendet, sieht er wohl etwas, das wir nicht sehen.

Die unglaublic­hste Leistung von allen aber erbrachte wohl Helen Keller. Sie war von Geburt an ohne Gehör und ohne Augenlicht. Die härteste Kombinatio­n für ein ansonsten waches Gehirn. Dennoch war Keller politisch aktiv und schrieb mehrere Bücher.

Warum ich das hier erzähle? Um uns an den Respekt zu erinner, den Menschen mit einer Behinderun­g verdienen.

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Sie & Er
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Frido
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160 Seiten, 19,80 Euro
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