Das Ende der Fahnenstange
Es wird Zeit für Großbritannien, Farbe zu bekennen. Die Bitte nach Fristverlängerung für den Ausstiegstermin sollte der letzte Akt der Demütigung für das einstige Empire sein.
Wenn Theresa May am Beginn des Eu-gipfels vor den anderen Staats- und Regierungschefs spricht, wenn sie um Zustimmung für eine Verschiebung des Austrittstermins bittet und wenn ihre Amtskollegen dann auf ihren Bedingungen beharren – mit welchem Gefühl tut sie das? Ist sie auch eine „Eiserne Lady“, wie einst ihre Vorvorgängerin Margaret Thatcher genannt wurde, ist sie wirklich die zähe Kämpferin, die sich niemals von ihrem Weg abbringen lässt, in der Überzeugung, das Richtige zu tun? Oder spürt sie – die vor ihrem Amtsantritt für den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU war – tief in ihrem Inneren einen nagenden Zweifel?
Auch wenn viel gelacht und gescherzt wurde in den vergangenen Wochen im Unterhaus, auch wenn der britische Humor vieles überdeckt hat: Jetzt, acht Tage vor dem offiziellen Austrittsdatum aus der EU, ist es Zeit, Farbe zu bekennen.
Es ist in der Europäischen Union, dem Konglomerat aus so vielen Nationen, Sprachen, Kulturen, nicht immer leicht, Einigkeit zu erzielen. Vielfach wurde schon die Befürchtung laut, die irrwitzigen Winkelzüge rund um den Brexit könnten einen Keil in die EU treiben, könnten Auslöser eines Flächenbrandes sein. Aus Diplomatenkreisen hört man aber, dass die EU-27 in dieser einen Frage unbeirrt auf gemeinsamem Kurs bleiben; dass es zwar immer wieder neue Vorschläge und ergänzende Lösungsansätze gebe, dass sich aber am Grundkonsens nichts geändert habe. Am Ende ist das etwas, aus dem Theresa May sogar noch einen Nutzen ziehen kann; dem Unterhaus muss klargemacht werden, dass es zwischen „Deal“und „No Deal“nicht noch etwas anderes gibt, von dem derzeit noch manche Briten fantasieren. Es ist die endgültige Konsequenz aus dem Referendum vor knapp drei Jahren: bleiben oder gehen. Eine Mehrheit hat sich fürs Gehen entschieden und nun ist es so weit. Also dann!
Ein Fehler, den die Union jetzt noch machen könnte, wäre es, aus falsch eingesetzter Freundlichkeit und vermeintlichem Wohlwollen eine Verschiebung des Austrittstermins zuzulassen, die schwerwiegende juristische Konsequenzen haben könnte. Die Eu-wahlen dürfen nicht in den Brexit-sog des Verderbens gezogen werden. n dieser Lage kommt der Eukommission eine besondere Rolle zu. Während der Rat eher dazu neigt, in größeren Dimensionen zu denken und zu handeln, und schon einmal spätnachts schnell noch etwas durchwinkt, ist es an der Kommission, auf die Details zu achten und mitunter Spitzfindigkeit an den Tag zu legen. Auf diese Stimmen muss man hören; es wäre fatal, würde nach all den langwierigen Verhandlungen und Debatten eine Lösung herauskommen, die neue Stolperfallen in sich birgt, alle Vorarbeiten zunichtemacht oder gar die anderen Länder zu Opfern des britischen Alleingangs werden lässt.
Die Briten müssen liefern. Oder, wie es Juncker ausdrückte: Das Ende der Fahnenstange ist erreicht.
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