Garant der Italiener
Staatspräsident Sergio Mattarella steht vor der schwierigen Aufgabe, Italien durch die Turbulenzen der Regierungskrise zu führen. Neuwahlen sind nur seine letzte Option.
Als vergangene Woche in Genua der 43 Todesopfer des Einsturzes der Morandi-brücke vor einem Jahr bei einer Trauerfeier gedacht wurde, war auch Staatspräsident Sergio Mattarella da. Das Besondere an seinem Auftritt waren nicht etwa seine Worte für die Angehörigen der Opfer. Mattarella bekam bei seiner Ankunft auf der Gedenkfeier spontan von der Trauergemeinde Applaus.
Man kann dieses Wohlwollen durchaus auf weite Teile der italienischen Bevölkerung übertragen. Der Staatspräsident wirkt nach der Verfassung als Garant des italienischen Volkes und soll auch gegenüber Regierung, Parlament und vor allem den vielen Einzelinteressen in politischen Krisensituationen die Interessen der Italiener vertreten. Der katholische Sizilianer Mattarella füllt diese Rolle seit seiner Wahl 2015 aus Sicht der meisten Italiener mehr als zufriedenstellend aus. Mit seinem leisen, staatstragenden Ton und seiner antiquiert wirkenden Silbermähne hebt sich Mattarella auch bildlich vom oft auf Selbstdarstellung gemünzten Politikbetrieb ab.
In der gegenwärtigen Regierungskrise nimmt das 78 Jahre alte Staatsoberhaupt die zentrale Rolle ein. Am Dienstag wird Noch-ministerpräsident Giuseppe Conte im römischen Senat Stellung beziehen zur Aufkündigung des Regierungsbündnisses. Innenminister und Vize-premier Matteo Salvini hatte bereits nach 14 Monaten die Koalition zwischen der populistischen Fünf-sterne-bewegung und der von ihm geführten rechten Lega platzen lassen und Neuwahlen gefordert. Nachdem Conte am Nachmittag im Senat gesprochen hat, ist davon auszugehen, dass er den Staatspräsidenten an seinem Amtssitz auf dem Quirinalshügel aufsuchen wird.
Als „Colle“, also Hügel, ist der Quirinalspalast im römischen Politikjargon bekannt. Von diesem erhabenen Ort aus werden die parlamentarischen Krisen in Rom gesteuert.
Mattarella gilt als Spezialist für die nur für Experten zu durchblickenden Mechanismen des parlamentarischen Betriebs in Rom. Jetzt geht es für Mattarella darum, die extrem verschiedenen Interessen im Parlament auf einen Nenner zu bringen und möglicherweise eine neue Mehrheit auszumachen, von der eine neue Regierung getragen werden könnte. n den vergangenen Tagen gab es Anzeichen dafür, dass sich zwischen Fünf-sterne-bewegung und Demokratischer Partei (PD) eine Allianz bilden könnte. Diese Mehrheit blockiert jedenfalls bisher den Zeitplan der Lega, die so schnell wie möglich Neuwahlen erreichen will. Aus Gründen der politischen Stabilität dürfte auch der Staatspräsident eine Weiterführung der Legislaturperiode bevorzugen, anstatt Neuwahlen auszurufen. Vom Quirinal verlautet, der Staatschef habe insbesondere das politisch extrem wichtige und im Herbst zu verabschiedende Haushaltsgesetz für 2020 sowie die Besetzung verschiedener Eu-posten im Blick, Neuwahlen wären da kontraproduktiv. Sie sind Mattarellas letzte Option.
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