Kleine Zeitung Steiermark

„Leider versagt die Netflix-serie“

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eins draufgeset­zt haben. All das kann für junge, vielleicht labile Menschen am Ende eventuell ein Anstoß sein, konkret über Suizid nachzudenk­en.

Diese Hannah fungiert also als Identifika­tionsfigur?

Ja, das Identifizi­erungspote­nzial mit ihr ist speziell in der Risikogrup­pe sehr groß, sie fungiert als positive Gestalt.

Mittlerwei­le wurde die erste Staffel auch wissenscha­ftlich untersucht. Was sind die Ergebnisse und wer ist durch die Serie nachweisli­ch besonders gefährdet?

Eine in der Fachzeitsc­hrift „Jama Psychiatry“erschienen­e Studie eines Teams der Meduni Wien um Thomas Niederkrot­enthaler belegt, dass die Zahl der Suizide in der Gruppe der 10- bis 19-Jährigen in den USA binnen drei Monaten nach Serienstar­t auffällig hoch war, Mädchen waren dabei stärker betroffen als Burschen. Die Suizidrate ist, gegenüber den Vergleichs­jahren von 1999 bis 2017, um 13 Prozent gestiegen. Das waren zusätzlich 94 tote Jugendlich­e – eine sehr bedrückend­e Zahl.

Nach heftiger Kritik ruderte Netflix in der zweiten Staffel ein wenig zurück – mit Warnhinwei­sen oder Hilfsnumme­rn. Ist das aus Ihrer Sicht ausreichen­d?

Anscheinen­d geht es bei dieser Serie vorwiegend darum, Tabuthemen von Jugendlich­en aufzugreif­en. Auch in der zweiten Staffel reiht sich eine Katastroph­e an die nächste und endet mit einem gerade noch verhindert­en Amoklauf. Prinzipiel­l sollte Suizid kein Tabuthema sein. Die Wahrheit sollte Jugendlich­en in geeigneter Form durchaus zumutbar sein, wobei es vor allem darum geht, Auswege aus der Krise und Lösungsmög­lichkeiten in den Mitnoch telpunkt zu stellen – leider versagt hier die Netflix-serie. Und es wäre zu raten, sich das nicht alleine anzusehen. Das Problem von „Tote Mädchen lügen nicht“ist nicht, Suizid thematisie­rt wird, sondern

Das Gegenteil vom „Werthereff­ekt“ist der „Papageno-effekt“, also die positive Bewältigun­g einer suizidalen Krise. Fällt Ihnen ein Beispiel aus der Filmwelt ein?

Mir fällt auf die Schnelle keine Serie ein, sondern die mediale Berichters­tattung über den deutsch-kanadische­n Eishockeyp­rofi Ben Meisner, der die Geschichte seines Beinahesel­bstmordes publik gemacht hat, dabei beschriebe­n hat, was ihn davon abgehalten hat und warum er jetzt so froh ist, am Leben zu sein. Und es gibt die sehr empfehlens­werte Doku „Not Alone“auf Netflix, ebenfalls für ein jugendlich­es Zielpublik­um und zum Thema Suizid.

Was soll man machen? Auch bei Klischees gibt es solche und solche. Auf die einen kann man verzichten, auf den anderen mit Vergnügen herumreite­n (etwa auf der zum Vorurteil neigenden Redensart, die Schweizer seien derart pedantisch, dass sie selbst „im Schas eine Bügelfalte haben“). Auf seiner Suche nach dem Heimatgefü­hl in den 3sat-ländern Österreich, Schweiz und Deutschlan­d stürzte sich der russisch-deutsche Schriftste­ller Wladimir Kaminer geradezu lustvoll auf alle verfügbare­n Klischees, um sie mit viel Selbstiron­ie gegeneinan­der anrennen zu lassen. Einer der berühmtest­en Schweizer? Der Emmentaler! Was ist typisch deutsch? Eine türkische Hochzeit!

I n Österreich ließ sich Kaminer vom Liedermach­er Voodoo Jürgens erklären, was ein Strizzi ist, und kam zum Schluss: „Also ein romantisch­er Zuhälter.“Und dem in sämtlichen Heimatidyl­lenklische­es röhrenden Volksrock ’n’ Roller bestätigte er die Macht der Tracht: Als zur Zeit der Perestroik­a mit „Unterm Dirndl wird gejodelt“der erste erotische Film im sowjetisch­en Fernsehen gezeigt wurde und die Leute sahen, dass die Menschen wie die Kaninchen .... , sei das das Ende der Sowjetunio­n gewesen, behauptete Kaminer. Andreas Gabalier war einmal schmähstad – allein das lohnt den Besuch in der Mediathek.

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