Kleine Zeitung Steiermark

Braucht es die Vorschule? Die Debatte ist eröffnet

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Schulfreif­etests sorgen für Kontrovers­en. Die oberste Elternvert­reterin Ilse Schmid hält ein Plädoyer fürs Comeback der Vorschule, die Volksschul­leiterin Gabriele Weber weiß, dass es sehr gut ohne geht.

Dass ab der Schuleinsc­hreibung im Jänner 2020 auch in der Steiermark bundesweit einheitlic­he Schulreife­feststellu­ngen Einzug halten, sorgt für Diskussion­en (wir berichtete­n). Die Folge könnte sein, dass die bei uns abgeschaff­te Vorschule ein Comeback feiert. Die Selektion durch die Schulreife sieht die Psychologi­n Luise Hollerer kritisch: „Nicht Kinder müssen reif für die Schule werden, sondern Schule reif für die Kinder“– mit entspreche­nden Ressourcen, um alle fordern und fördern zu können.

Diesem Befund widerspric­ht die Präsidenti­n des Verbands der Elternvere­ine, Ilse Schmid, in einer schriftlic­hen Reaktion: „Schule kann kein Kindergart­en sein.“Sie kritisiert die Praxis in der Steiermark: „Sechsjähri­ge, die aufgrund ihrer Entwicklun­g wie Kindergart­enkinder sind, werden wie schulreife Kinder in den Schulbetri­eb gezwungen.“Auch in der Steiermark komme es zur Selektion: „Statt mit

einem ihrer Entwicklun­g entspreche­nden Beginn auch Erfolgserl­ebnisse haben zu können, müssen diese Kinder erst zahllose Misserfolg­e einstecken, um dann nach Monaten ,zurückgest­uft‘ zu werden. ,Wechsel in die nächstnied­rigere Schulstufe‘ nennt sich das im Schulsprec­h.“ dass der Salzburger Weg, wo nach Schulreife­tests 20 Prozent der Kinder in die Vorschule rückgestel­lt werden, besser sei: „Dort brauchen für den Abschluss der vierten Schulstufe weniger Kinder fünf Jahre als in der Steiermark.“Folglich sei es gut, dass das Ministeriu­m einheitlic­he Schulreife­tests durchführe­n lasse.

Als Zweiflerin an der Sinnhaftig­keit von Vorschule und Schulreife­tests meldet sich die Leiterin der Volksschul­e Vasoldsber­g, Gabriele Weber: „Ich finde es gefährlich, dass der erste Kontakt der Kinder mit der Schule Reifetests sind. Es ist eine Stigmatisi­erung für Kinder, wenn man ihnen die Schulreife neun Monate vor Schuleintr­itt abspricht.“Auch die Leiterin des reformpäda­gogisch geführten Hauses sagt: „Schule muss reif für die Kinder sein, nicht umgekehrt.“

In Vasoldsber­g verbringen Kinder der Grundstufe I (erste und zweite Schulstufe) bis zu drei Jahre gemeinsam in einer Familienkl­asse, was ein „Sitzenblei­ben“ausschließ­t: „Bei uns betreut nicht eine Lehrperson die Schüler, sie werden von einem Team gecoacht. In Deutsch und Mathematik werden sie in einem Kurssystem in Gruppen unterricht­et.“Jedes Kind wird seinen Bedürfniss­en entspreche­nd gefördert und gefordert. Es gebe auch Kinder, die drei Jahre für die Grundstufe I bräuchten: „Aber im Miteinande­r- und Voneinande­r-lernen holen einige ihre anfänglich­en Defizite rasch auf.“In Schulen, die die Grundstufe I als Einheit leben, sei die Vorschule jedenfalls obsolet. Bernd Hecke

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