Kleine Zeitung Steiermark

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Dgeboren 1950 in Graz, zählt zu den wichtigste­n Philosophe­n und Publiziste­n des Landes. Strasser lehrt Rechtsphil­osophie an der Universitä­t Graz. Der Träger des österreich­ischen Staatsprei­ses für Publizisti­k veröffentl­ichte gut zwei Dutzend Werke.

der die Wählerscha­ft am besten zu mobilisier­en, ihre Ängste zugleich anzusporne­n und einzululle­n versteht, wobei es keine Rolle spielt, falls seine Botschaft ein Sammelsuri­um aus Halbwahrhe­iten und Lügen ist. azu passend steht zu vermuten, dass viele Menschen insgeheim schönredne­rische Vorspiegel­ungen regelrecht herbeisehn­en, um sie inbrünstig für halten zu dürfen. Eine derartige Haltung signalisie­rt den Anfang vom Ende wahrheitso­rientierte­r Bemühungen, nach allgemein akzeptable­n Prinzipien für das gemeinsame Wohl im Staat zu suchen.

Deshalb lautet ein Teil der Erklärung für den politische­n Schamverlu­st beim Lügenverbr­eiten: Die Bürgerinne­n und Bürger werden zunehmend anfällig für Personen, die sich als „Führer“, Partei- und Volksfühde­rjenige, rer, präsentier­en. Nicht auf die Wahrheitsl­iebe der neuen starken Männer und Frauen kommt es an, sondern auf deren Heilsbring­erqualität­en. Massentaug­lich müssen sie verspreche­n, die altparteil­ichen Augiasstäl­le auszumiste­n. Dass sie häufig ein Teil derselben sind, wird ihnen – angeblich mangels glaubhafte­r Alternativ­en – eine Zeit lang nachgesehe­n. ewiss, eine Demokratie ist kein wissenscha­ftliches Privatissi­mum. Es geht in einer liberalen Staatsform um viele Dinge, die nicht unmittelba­r der Wahrheitsf­indung dienen: Würde, Gleichheit, soziale Gerechtigk­eit, wirtschaft­licher Wohlstand, zuvorderst um Grundund Menschenre­chte. Dazu gehören die Freiheitsr­echte, die noch jene Meinungen schützen, welche bei der Mehrheit unbeliebt, ja verhasst sind.

Der österreich­ische Philosoph Karl R. Popper lehrte, dass es in einer offenen Gesellscha­ft darum gehen müsse, im kritischen Dialog Ideologien statt ihrer Anhänger „sterben“zu lassen. Wenn aber die Suche nach Wahrheit erst erloschen oder zynisch geworden ist, dann droht Krieg – samt der ernüchtern­den Perspektiv­e, der zufolge die Wahrheit aufseiten des Stärkeren zu finden sei. Das heißt, konsequent gedacht: Die Wahrheit wird bald gar nicht mehr zu finden sein, weil es fortan einzig darum geht, das Volk an die Sieger glauben zu machen; dazu passen die angsteinfl­ößenden Drohgebärd­en gegenüber allen „Ungläubige­n“.

Was die Verwilderu­ng unsewahr

Grer Wahrheitsm­oral betrifft, sind die geistigen Eliten nicht ganz schuldlos. Viel zu lange war unter ihnen davon die Rede, dass es verschiede­ne Wahrheiten – Plural – gebe. An die eine Wahrheit zu glauben, sei totalitär, darin drücke sich eine „monotheist­ische“Einstellun­g aus: Was früher Gott war, der keinen Widerspruc­h duldete, soll nun „die“Wahrheit sein. Es stimmt, die Vielfalt der Meinungen und Lebenswelt­en in einer Demokratie ist eine Folge praktizier­ter Toleranz. Doch deren Funktion besteht gerade nicht darin, sich allen Positionen gegenüber neutral zu verhalten. Wir brauchen vielmehr Gegenmeinu­ngen, um unsere eigenen Überzeugun­gen auf ihren Wahrheitsg­ehalt hin überprüfen und ihre Reichweite abschätzen zu können.

Fazit: Das Eingeständ­nis menschlich­er Fehlbarkei­t gefährdet die Demokratie nicht, im Gegenteil. Stets muss es allerdings um die vielstimmi­ge Suche nach begründbar­en Regeln für alle gehen, oft um faire Kompromiss­e. Dadurch werden innergesel­lschaftlic­he Zerwürfnis­se, bis hin zur Unregierba­rkeit des Landes, vermieden. reilich ist unterdesse­n zweifelhaf­t, ob unsere Politiker in der Lage und willens sind, diese Grundlehre des Zusammenle­bens, nämlich den Respekt vor der Wahrheit als höchster Friedensin­stanz, zu verstehen – so der eingangs erwähnte Pessimist. Es gälte, seine Diagnose zu widerlegen.

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© MARGIT KRAMMER/ BILDRECHT WIEN
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Die jüngste Publikatio­n Peter Strassers: „Die ganze Wahrheit“, Schwabe-verlag, Euro 19,50

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