Der Verlust der Besonderheit
Ein Krieg um Opium hat Hongkong vor 180 Jahren zu einer Sonderrolle verholfen. Dieser Status wirkt bis heute nach und ist beim Protest Brandbeschleuniger. Mit fatalen Folgen.
Die Signale der chinesischen Zentralregierung in Peking an die Protestbewegung in Hongkong werden immer eindeutiger. Innerhalb von 48 Stunden werden drei führende Köpfe der Demokratieverteidiger festgenommen und – als die Nachricht um den Erdball gerast ist – wieder freigelassen. Gleichzeitig schreibt das Zentralorgan der kommunistischen Führung in seinem Leitartikel, die Soldaten der chinesischen Armee stünden nicht rein symbolisch an der Grenze zur Sonderverwaltungszone. Sollte es zu einer Eskalation der Lage kommen, so die Autorin der „China Daily“, hätte das Heer der Volksrepublik keinen Anlass, untätig zuzuschauen. Es wird also unverhohlen gewarnt.
Dieses Aufschaukeln seit Juni hat viel mit der gegenseitigen Verachtung zu tun. Viele Festlandchinesen fühlen sich von den Hongkongern von oben herab behandelt. Nicht ohne Grund: In Hongkong schaute man jahrzehntelang mit einer Mischung aus Belustigung und Verachtung auf die bitterarmen, ideologisch gehirngewaschenen und nicht nur technologisch zurückgebliebenen Brüder und
Schwestern in „Rotchina“hinüber. Ein Zeichen der Abgrenzung waren die selbstgewählten britischen Vornamen zu den chinesischen Familiennamen wie bei den beiden festgenommenen Anführern Joshua Wong und Agnes Chow.
Zudem ist der Konflikt historisch aufgeladen. Nach dem Chinesischen Bürgerkrieg flüchteten die Anhänger der Kuomintang-regierung, die von 1912 bis 1949 die Geschicke der ersten chinesischen Republik lenkten, nach der Niederlage gegen Mao Zedong nach Taiwan und eben auch in die britische Kronkolonie Hongkong. Der weitverbreitete Hass in Hongkong auf „Rotchina“speist sich auch aus dem Gefühl, als Verlierer die Heimat verlassen zu haben.
Nun aber verliert Hongkong seine besondere Rolle gegenüber Festlandchina, die es seit dem chinesisch-britischen Krieg 1839 als Einfallstor und Gewinnler erst für den erzwungenen Opiumhandel bekommen und als Finanzmetropole unter britischer Herrschaft ausbauen konnte. Zudem erkennen junge Hongkonger, dass Altersgenossen in Schanghai heute ähnlich gut ausgebildet und mit finanziell sogar besseren Möglichkeiten ausgestattet auf den Markt drängen. Dieser Statusverlust verbindet sich mit der Angst um den Demokratie-abbau zu einer gefährlichen Melange. Zudem lässt sich bei den Demonstrationen die alte politische Verbindung nach Taiwan erkennen. Diese Gefahr sieht man in Peking auch und weiß um die Bilder vom Tian’anmen-platz, die anlässlich des 30. Jahrestages mit den Bildern aus Hongkong im Gleichklang um die Welt gehen.
Wenn man die Botschaft aus Peking richtig deutet, ist die Geduld der Zentralregierung am Ende. Damit dürfte das Modell „ein Land, zwei Systeme“schneller beendet sein als mit den Briten vereinbart. Zugeständnisse sind von beiden Lagern kaum noch zu erwarten. Hongkong ist auf dem Weg, seinen Sonderstatus endgültig zu verlieren.