Kleine Zeitung Steiermark

Schluss mit der Arroganz

Der Afd-wahlerfolg wird im Westen wieder zur Pauschalve­rurteilung des ostdeutsch­en Wutbürgers führen. 30 Jahre nach dem Mauerfall wären endlich andere Antworten nötig.

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Die Aussicht auf einen Wahlsieg der rechtspopu­listischen AFD hat nach eigenem Bekunden etliche Sachsen und Brandenbur­ger zur Stimmabgab­e getrieben. Die Beteiligun­g in den beiden ostdeutsch­en Bundesländ­ern bei der Neubestimm­ung ihrer Landtage war außergewöh­nlich hoch. Es waren vor allem die urbanen Wähler, die sich angetriebe­n gefühlt haben, der sich abgehängt fühlenden Landbevölk­erung nicht die Deutungsho­heit über die Befindlich­keit der „Ostdeutsch­en“zu überlassen und zu verhindern, wieder pauschal als Menschen aus „Dunkeldeut­schland“bezeichnet zu werden. Die SPD konnte dank den Stimmen aus den Städten in Brandenbur­g ebenso ihren Kopf retten wie die CDU in Sachsen. Dennoch lässt sich nicht wegreden, dass die selbst ernannte Alternativ­e für Deutschlan­d jeden vierten Sachsen, der sich zur Wahlurne aufgemacht hat, und jeden fünften Wähler in Brandenbur­g überzeugen konnte.

Die urbanen Wähler haben auch verhindert, dass ausgerechn­et am Tag des Gedenkens an den Ausbruch des Zweiten

Weltkriegs die geistigen Erben der Nationalso­zialisten erstmals in Deutschlan­d zur stärksten Kraft werden. Denn die Ausrichtun­g beider Landesverb­ände bereitet gestandene­n Demokraten einiges Kopfzerbre­chen. Mit Andreas Kalbitz steht eine Führungsfi­gur des rechtsnati­onalen Flügels innerhalb der AFD an der Brandenbur­ger Parteispit­ze. Mehrere Recherchen deutscher Zeitungen legen seine seit vielen Jahren bestehende Nähe zu rechtsextr­emen Kreisen offen und dokumentie­ren sein radikales Denken. Wer also die AFD gewählt hat, kann sich bei all dem Wissen, das zuletzt über den Spitzenkan­didaten veröffentl­icht wurde, nicht mit schlichtem Protest herausrede­n.

Und dennoch: Die Große Koalition in Berlin sollte die Zeit des Durchatmen­s heute schon wieder beenden. Die Botschaft der Frustriert­en ist unüberhörb­ar. Der Vertrauens­verlust vor allem in den Regionen, die vom notwendige­n Strukturwa­ndel nach dem Ende der DDR am härtesten getroffen wurden, ist enorm. Ganze Landstrich­e sind geprägt von einer überaltert­en Bevölkerun­g, die sich mit einer infrastruk­turellen Ausdünnung auseinande­rsetzen muss. Übriggebli­ebensein ist das vorherrsch­ende Gefühl. Viele empfinden die Politik so, als sei ihre Region aufgegeben worden. afür braucht es Antworten, die sich unterschei­den von der typisch westdeutsc­hen Arroganz gegenüber dem demokratie­resistente­n Ostler. Noch immer gibt es in den alten Bundesländ­ern den Reflex, solche Ergebnisse abzutun als unberechti­gte Jammerei von Menschen, denen man über den Solidaritä­tszuschlag eh schon viel zu lange geholfen habe. Zum 30. Jahrestag des Mauerfalls wäre es an der Zeit, eine neue, gemeinsame Erzählung für ein kraftvolle­s Land in der Mitte Europas zu finden. Der Satz „Hätten wir die Mauer doch nur stehen lassen“, den man im Westen immer häufiger hören kann, ist jedenfalls die falsche Antwort.

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