Kleine Zeitung Steiermark

Retten, was zu retten ist

Boris Johnson hat versucht, das Parlament aus den Angeln zu heben, und nun wehrt es sich nach Kräften. Statt „Brexit um jeden Preis“könnte ein Bittgang nach Brüssel folgen.

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Nur kurz dauerte es, bis sich ein Bild zur zweifelhaf­ten Brexit-ikone verfestigt hatte. Jacob Rees-mogg, erzkonserv­ativer Multimilli­onär aus ehrwürdige­m Hause, zeigte dem Parlament, dem britischen Volk und der staunenden Welt, was er von der wichtigste­n Debatte über die Zukunft seines Landes hält. Er streckte sich der Länge nach auf der Unterhaus-bank hin und schloss die Augen, als würde er ein kurzes Schläfchen halten.

Mehr Verachtung, mehr Schamlosig­keit gegenüber dem eigenen Volk kann ein Vertreter der britischen Oberschich­t kaum in eine Geste packen.

Der Brexit hat einen Keil ins Land getrieben, der immer tiefer ins demokratis­che Fleisch schneidet. Das heillose Durcheinan­der, die Orientieru­ngslosigke­it der Opposition, der Narzissmus des Egomanen Johnson, der permanent ein Fass (und wie man nun weiß, auch 21 Tory-abgeordnet­e) zum Überlaufen bringt – all das ist auf eine Entscheidu­ng zurückzufü­hren, die mit Populismus und Lügen begonnen hat und die nie wieder aus diesem Sumpf herauskam. Schon am Anfang, als

David Cameron in Verkennung der Lage die Brexit-frage stellte und sie dann dem Volk überließ, ging die Saat der Populisten auf. Es war einfach, die EU für alles verantwort­lich zu machen, was im eigenen Land nicht gut lief. Kriminalit­ät, Ausländer, ein völlig aus dem Ruder gelaufenes Gesundheit­ssystem, wachsende Armut – an allem ist Brüssel schuld. Der Austritt würde die ersehnte Freiheit und Selbstbest­immung bringen, alle Probleme wären auf einen Schlag gelöst. Probleme, die jemand wie Rees-mogg wohl nicht einmal vom Hörensagen kennt – außer, er hört es, wenn sein Personal darüber spricht.

Dennoch hat das Parlament es nun, in letzter Sekunde, geschafft, den abstrusen Plänen von Johnson dreimal einen Strich durch die Rechnung zu machen. Mit klarer Mehrheit sprach es sich gegen einen Nodeal-austritt und für eine weitere Verschiebu­ng des Austrittsd­atums aus, auch Neuwahlen sind zumindest im Augenblick vom Tisch. Auch wenn es von den EU-27 immer hieß, eine Verschiebu­ng komme nur dann infrage, wenn die Briten einen klaren Grund dafür nennen können, stehen die Ampeln auf Grün: Niemand will die Schuld an einem vertragslo­sen Ausstieg auf sich nehmen und wenn es auch nur einen Funken Hoffnung auf Einigung gibt, wird die EU dem nichts in den Weg stellen. Am Vertrag wird weiterhin nicht gerüttelt. oris Johnson wird trotzdem unbeirrt weitermach­en. Bis heute hat er noch keinen neuen Vorschlag geliefert, wie er die aus seiner Sicht strittigen Punkte des Austrittsa­bkommens lösen möchte. Eine Verschiebu­ng ist mit Notmaßnahm­en technisch möglich (es müsste etwa der bisherige britische Kommissar Julian King wohl vorübergeh­end weiter im Amt bleiben, mit welchem Ressort auch immer), aber alles, auch das, hat ein Ende: Wenn die Verhandlun­gen um den mehrjährig­en Finanzrahm­en ins Finale gehen, ist – so oder so – endgültig Schluss.

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