Die Macht von Putin bröckelt
Die Kreml-partei verliert in Moskau, behält aber fast überall Oberwasser.
Einiges Russland“bleibe die führende politische Kraft im Land, gratulierte sich Dmitri Medwedew, Premierminister und Chef der Staatspartei, am Sonntagabend selbst. Dabei hatten die Wahllokale gerade erst geschlossen. Tatsächlich musste „Einiges Russland“(ER) beim russischen Einheitswahltag schwere Schlappen in mehreren Regionen einstecken. Aber der von liberalen Beobachtern erhoffte nationale Erdrutsch blieb aus. Alle 16 Kandidaten der Staatsmacht gewannen ihre Gouverneurswahlen.
Bei den Stadtratswahlen in Moskau, wo das Image der ER als besonders mies gilt, holte ihre Konkurrenz 20 von 45 Mandaten. Besonders gut schnitten die Kommunisten (KPRF) ab. Sie eroberten 13 Sitze. Zuvor hatte der demokratische Politiker Alexei Nawalny aufgerufen, die Wähler sollten statt der von ER unterstützten „Unabhängigen“deren aussichtsreichste Gegner wählen, Nawalny listete vor allem Kprf-bewerber auf. Auch drei Kandidaten und eine Sympathisantin der liberalen „Jabloko“-partei gewannen. „Das war eine Nacht zumindest schüchterner Hoffnung auf die Zukunft“, schrieb der ebenfalls zu den Wahlen nicht zugelassene Demokrat Dmitri Gudkow auf Facebook.
Richtig schlimm erwischte es die Staatspartei in der Fernostregion Chabarowsk. Hier hatte schon 2018 der Kandidat der nationalpopulistischen „Liberaldemokraten“(LDPR) sensationell die Gouverneurswahlen gewonnen. Jetzt siegte auch bei Nachwahlen zur Staatsduma der LDPR-MANN Iwan Piljajew, bei den Wahlen zum Regionalparlament holte die LDPR 55 Prozent, ER musste sich mit peinlichen 12,5 Prozent und dem dritten Platz hinter der KPRF begnügen. Auch bei den Parlamentswahlen in Sewastopol auf der annektierten Krim stürzte ER von 76,7 auf 38,5 Prozent ab. „ER und mit ihr der Kreml haben diese Wahlen verloren“, sagt der Moskauer Parteienexperte Juri Korgonjuk. „Es wird künftig sehr schwer für die verknöcherte Staatsmacht, sich mit der erstarkten Opposition in den Regionen zu verständigen.“Doch bleibt die ER in Sewastopol stärkste Partei, wie auch in elf der 13 Gebiete, in denen Parlamente gewählt wurden.
Und im Gegensatz zum Vorjahr, wo die Amtsinhaber bei vier Gouverneurswahlen abgestürzt waren, gewannen jetzt alle 16 Staatskandidaten im ersten Wahlgang, wenn auch zum Teil unsauber. In mehreren Regionen wurden wieder massenhafte Einwürfe von Wahlzetteln gefilmt, in Sankt Petersburg schleppten Mitglieder der Wahlkommissionen ganze Urnen davon, Beobachter wurden verprügelt. Die Beteiligung bei den Gouverneurswahlen an der Newa explodierte in den letzten zwei Stunden der Abstimmung von 23,7 auf 41,6 Prozent, nach Ansicht der Opposition ein klares Anzeichen von Massenfälschungen. „Reales Banditentum“, schimpfte Nawalny. Am Ende siegte auch hier der geschäftsführende Amtsinhaber Alexander Beglow mit 64,6 Prozent. Es hat sich nur wenig geändert an diesem Wahlsonntag in Russland.
Stefan Scholl, Moskau