Ein großer Europäer ist gegangen
György Konrad galt nicht nur in Ungarn als moralische Instanz.
Der ungarische Schriftsteller György Konrad ist tot. Er starb am Freitag im Alter von 86 Jahren nach langer schwerer Krankheit in Budapest. Als Kind hatte er den Holocaust überlebt und einen großen Teil seiner jüdischen Familie verloren. Mit seinem literarischen Werk geriet der als Jugendfürsorger und Stadtsoziologe in Budapest tätige Autor bald in Opposition zum kommunistischen Regime – sein Romandebüt „Der Besucher“(1969) warf einen schonungslosen Blick auf die offiziell verleugneten Zonen des sozialen Elends im Realsozialismus.
Als Dissident mit Reise- und Berufsverboten belegt, konnte er lange nur im Untergrund veröffentlichen. Seine Rolle als moralische Instanz, die den Finger auf die wunden Punkte der Gesellschaft legte, bewahrte er sich auch nach der Wende. Mit Elan setzte er sich für die europäische Einigung ein; er war von 1990 bis 1993 Präsident der internationalen Schriftstellervereinigung P.E.N. und von 1997 bis 2003 Präsident der Berliner Akademie der Künste. Seine vielfach übersetzten Romane und Essays wie „Geisterfest“(1986), „Glück“(2003), „Das Buch Kalligaro“(2007), und „Gästebuch – Nachsinnen über die Freiheit“(2016) sind große Erinnerungsliteratur. Stets erhob er seine Stimme, wenn er Menschenrechte und Grundfreiheiten gefährdet sah. Im eigenen Land, wo Viktor Orbán seit 2010 mit autoritären Methoden und populistischer Rhetorik regiert, richtete er damit zuletzt noch wenig aus. Dennoch beruhige ihn, meinte er 2018 in einem Interview, dass die EU auf die Ungarn eine weitaus stärkere Anziehung ausüben würde als Diktatoren. Nun ist der Parade-intellektuelle aus Ungarn, längst schon als gesamteuropäische Instanz wahrgenommen, verstummt.
György Konrad starb mit 86 Jahren