Immer dasselbe Theater
Alle Parteien lieben die „Kulturnation“, aber im Wahlkampf ist das heimische Kulturgeschehen überhaupt kein Thema. Das ist so typisch wie deprimierend.
Besonders oft kommt es ja nicht vor, dass die größte und wahrscheinlich immer noch wichtigste Bühne des deutschen Sprachraums neu aufsperrt, unter einem neuen Chef und mit radikal neu formuliertem Anspruch.
Das Wiener Burgtheater hat am Wochenende seine erste Spielzeit unter Direktor Martin Kuˇsej eröffnet. Mit drei sehr unterschiedlichen und dabei künstlerisch durchwegs beeindruckenden Premieren: einer antiken Tragödie (Euripides’ „Die Bakchen“), einem Gegenwartsdrama (Wajdi Mouawads „Vögel“) und einem Klassiker des 20. Jahrhunderts (Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf ?“).
Gedacht war dieser Tripledecker wohl als Schaukasten für das, was Kuˇsej meint, wenn er von der Burg als europäisches, vielsprachiges Theater spricht: Sein Haus soll ein polyglotter Ort sein. Was den künstlerischen Anspruch betrifft, aber auch im Wortsinn.
Den Theaterbesuchern, darf man aus der Applausbeobachtung dieses Wochenendes schließen, scheint das zu gefallen, zum Spaß klatschen die
sich ja eher nicht die Finger wund. Österreichs Spitzenpolitik, so das Ergebnis einer im Zuge des Premierenreigens durchgeführten subjektiven kleinen Rundschau, glänzte an allen drei Abenden aber bis auf ein paar löbliche Ausnahmen durch Abwesenheit. a eh, es ist Wahlkampf, und wer gewinnen will, hat viele Abendtermine. Aber sooo viel mehr Leute trifft man beim Zeltfest ja auch wieder nicht – und auch das Theater zählt ja angeblich zu jenen Orten, an denen die Gesellschaft sich selbst ins Gesicht schaut.
Zugegeben, die hohe Politik wird an diesem Wochenende schon niemandem im Burgtheater so richtig abgegangen sein. Aber ihr kollektives Fernbleiben lässt sich ja auch als Symptom für etwas deuten: nämlich, dass das heimische Kulturgeschehen unseren Volksvertretern eher wurscht ist. In den Wahlpro
Jgrammen jedenfalls finden sich dafür etliche Indizien.
Wäre es nicht so deprimierend, könnte man sich fast amüsieren über die Ansammlung von Hohlformeln, die da auf verlässlich wenigen Zeilen Platz finden muss. Nebst jenem Parteiprogramm, das offenbar überhaupt mit einem „Leitkultur“-manifest und der Forderung nach Absicherung von Schweinefleisch und Nikolausfeiern in Kindergärten auskommt, sind die vielen schönen Bekenntnisse zur „Kulturnation“und ihrer Förderwürdigkeit vor allem aus einem Grund bemerkenswert: Was eine „Kulturnation“im 21. Jahrhundert überhaupt sein soll und wie mit großer Tradition und überlebenswichtiger Innovation im Kunst- und Kulturbetrieb angesichts knapper werdender Budgets in Zukunft umzugehen sein könnte, bleibt ausgespart. Darüber aber braucht es dringend öffentliche Diskussion. Stattdessen gibt es immer nur klägliches Theater: Politiker, die in den Eröffnungsreden, die sie so gern halten, Österreichs Kulturleben preisen. Sie sollten ihm lieber mehr Stellenwert in ihrer Arbeit geben.