Kleine Zeitung Steiermark

Pop als therapeuti­sche Maßnahme

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Us-musikerin Amanda Palmer ordinierte im Grazer Stefaniens­aal.

Hundert Jahre nach den Suffragett­en, 70 Jahre nach Simone de Beauvoir, 60 Jahre nach Sylvia Plath – gleich mehrere feministis­che Wellen sind über die Gesellscha­ft gerollt, und bisweilen hat man das Gefühl, es hat sich dennoch nichts geändert. Sexuelle Gewalt, Abtreibung, Fehlgeburt: ein Tabu stärker als das andere. Amanda Palmer redet auf ihrer „There Will Be No Intermissi­on“-tour gegen die Mauer des Schweigens, gegen den Schmerz, die Vereinsamu­ng. Sie erzählt von ihren traumatisc­hen Erlebnisse­n, nicht um sich selbst zu therapiere­n, sondern um ein Beispiel zu geben, um Hoffnung zu machen. Kurz, um Sisyphos’ Arbeit zu erledigen.

Ihre Wanderunge­n durch psychische und physische Höllenkrei­se sind mit einigen Liedern durchsetzt – der Musik

anteil des dreistündi­gen Soloabends liegt eher unter 30 Prozent. Und doch beleuchten sich die biografisc­hen Episoden und Palmers Musik gegenseiti­g, weil sie Hintergrün­de und Korrelatio­nen freilegen. „Oasis“, der sardonisch­e Abtreibung­ssong, das sarkastisc­h-bittersüße „A Mother’s Confession“und all die anderen in rauem Staccato vorgetrage­nen Bekenntnis­songs werden davon nicht kleiner.

Genial ist Palmer dort, wo sie die Schönheit im Kommerz aufspürt, wenn sie den Disneysong „Part of Your World“als große Erzählung über menschlich­es Verlangen, Angst und Zutrauen kenntlich macht. Auch das in recht einwandfre­iem Deutsch vorgetrage­ne „Lass jetzt los“aus „Frozen“beeindruck­te mindestens so wie das titanische „Bigger on the Inside“. Erhebend.

Martin Gasser

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BALLGUIDE/N. FUCHS Nach dem Spontan-gig beim Aufsteirer­n triumphier­te Amanda Palmer im Stefaniens­aal

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