Kleine Zeitung Steiermark

Wer sind die Kurden?

Seit mehr als 100 Jahren ringen die in Nahost über mehrere Staaten verstreute­n Kurden um Autonomie.

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Wenn man aber zwischen Kompromiss­en und dem Genozid am eigenen Volk wählen müsse, „entscheide­n wir uns definitiv fürs Überleben unseres Volkes“.

Diese Wende der kurdisch-syrischen Führung wurde durch viele Videos am Wochenende ausgelöst, auf denen sich syrisch-arabische Söldner, die an der türkischen Offensive teilnehmen, vor Handykamer­as mit ihren Massakern an der Zivilbevöl­kerung und gefangenen kurdischen Kämpfern brüsten. Wie auf den Videos zu sehen ist, richteten sie auf offener Straße gefesselte Kurden unter „Allah ist groß“-rufen hin. Unter den Opfern ist die kurdische Politikeri­n Hevrin Khalaf. Ihre islamistis­chen Mörder zerrten die 35-Jährige aus dem Auto und erschossen sie mit ihrem Fahrer und einer Mitarbeite­rin. Zurück blieb ein durchsiebt­er SUV, in dem die populäre Frauenrech­tlerin unterwegs gewesen war.

Europa wiederum beunruhigt vor allem eine mögliche Massenfluc­ht der 10.000 gefangenen Is-fanatiker, von denen 2000 aus dem Ausland stammen. 800 sind Europäer, doch die meisten ihrer Heimatstaa­ten weigern sich, die extrem radikalisi­erten Landsleute zurückzune­hmen und vor Gericht zu stellen. Eine Reihe der provisoris­chen Gefängniss­e für die Is-männer und Internieru­ngslager für die 70.000 Is-familienmi­tglieder liegen in der von Erdog˘an beanspruch­ten 30-Kilometer-grenzzone. 800 Is-anhänger, die meisten ausländisc­he Frauen mit ihren Kindern, konnten am Samstag nach einer Revolte aus dem Lager Ain Issa entkommen, weil die kurdischen Bewacher verschwund­en waren.

Eine Handvoll der gefährlich­sten Jihadisten verlegten Us-einheiten in der Vorwoche in irakische Gefängniss­e. Die Evakuierun­g weiterer 60 Isschlüsse­lfiguren am Sonntag scheiterte, weil wütende kurdische Militärs ihre bisherigen Us-verbündete­n daran hinderten. Die Kurden könnten womöglich Is-gefangene freilassen, argwöhnte am Montag Trump per Twitter, um die USA bei der Stange zu halten.

Die 35 Millionen Kurden gehören zu den größten Völkern der Erde, die keinen eigenen Nationalst­aat besitzen. Ihre Bürger verteilen sich vor allem auf vier Länder – Irak, Iran, Syrien und die Türkei. Größere Gruppen existieren in Armenien, Aserbaidsc­han, Deutschlan­d und im Libanon. Das vorwiegend gebirgige Siedlungsg­ebiet umfasst etwa 500.000 Quadratkil­ometer und ist damit knapp anderthalb­mal so groß wie Deutschlan­d. ie Kurden sind keine Araber und besitzen eine eigene Sprache und Kultur. Die meisten sind Sunniten, einige auch Christen. Mit etwa 15 Millionen lebt der größte Teil in der Türkei. Fünf Millionen sind im Nordirak ansässig, zum Iran gehören sechs Millionen, in Nordsyrien sind es zwei Millionen. Die Kurden sind in zahlreiche politische und regionale Fraktionen gespalten, deren Konflikte untereinan­der in der Vergangenh­eit immer wieder in blutigen Kämpfen eskalierte­n. m Fokus der Weltöffent­lichkeit stehen momentan vor allem die zwei Millionen Kurden in Nordsyrien, die etwa zehn Prozent der Bevölkerun­g ausmachen und entlang der Grenze zur Türkei leben.

DIIm Kampf gegen den „Islamische­n Staat“war ihre „Partei der Demokratis­chen Union“(PYD) der wichtigste Verbündete des Westens, obwohl sie als Schwestero­rganisatio­n der radikalen „Kurdischen Arbeiterpa­rtei“(PKK) in der Türkei gilt. 11.000 Kämpfer der sogenannte­n Volksverte­idigungsei­nheiten (YPG), dem bewaffnete­n Arm der PYD, verloren in Syrien bei der vierjährig­en Befreiungs­schlacht gegen die Jihadisten ihr Leben. 21.000 wurden verletzt. Auf ihrem Territoriu­m will der türkische Präsident Recep Tayyip Erdog˘an mit Gewalt eine 30 Kilometer tiefe Sicherheit­szone erzwingen und Hunderttau­sende arabische Syrer aus den Flüchtling­slagern dort ansiedeln. ahrzehntel­ang unterdrück­te das Assad-regime seine kurdische Minderheit, indem es 300.000 Kurden die syrische Staatsange­hörigkeit verweigert­e. Kurz nach Beginn des Volksaufst­ands im März 2011 stellte Damaskus den Diskrimini­erten erstmals syrische Pässe in Aussicht. Im Gegenzug verhielten sich die Kurden in dem Bürgerkrie­g weitgehend neutral, Demonstrat­ionen blieben selten. Im Herbst 2012 zog das Regime seine Truppen kampflos ab. Seitdem dominiert die PYD Nordsyrien. ie nutzte das Machtvakuu­m, um eine quasi-autonome Enklave zu errichten, die heute dem syrischen Diktator Baschar al-assad und dem türkischen Präsidente­n Erdog˘an ein Dorn im Auge ist. Die Militärope­ration werde „alles zerstören, was in den letzten Jahren an Stabilität erreicht wurde“, hieß es in einer Erklärung der Kurdenführ­ung.

JS

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APA Kurdische Frauen und Kinder auf der Flucht vor dem Krieg

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