Kleine Zeitung Steiermark

Optische Täuschung

Der Sieg der Opposition in Budapest lässt bei dieser Hoffnungen keimen, auch die nächsten Parlaments­wahlen gewinnen zu können. Aber so einfach ist das nicht.

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Ungarns Opposition­sparteien konnten bei den Kommunalwa­hlen am Sonntag wider Erwarten die Hauptstadt Budapest erobern und werden zudem künftig zehn der 23 Bezirkshau­ptstädte regieren. Plötzlich hat die Opposition eine echte Machtbasis. Kann sie auch die nächsten Parlaments­wahlen 2022 gewinnen?

Tatsächlic­h hat die Regierungs­partei Fidesz drei große Probleme, die alle zum Erfolg der Opposition beitrugen. Sie hat ein Städte-problem: Großstadtw­ähler sind weniger empfänglic­h für Ministerpr­äsident Orbáns patriotisc­he Sprüche als die Landbevölk­erung. Fidesz hat ein generation­elles Problem: Junge Wähler sind immer weniger angetan von der alternden Garde der Fidesz-oberen mit Bauchansat­z und Predigten von Gott, Familie, Vaterland.

Und Fidesz hat ein sehr großes Borkai-problem. Zsolt Borkai ist Bürgermeis­ter der zweitreich­sten Stadt Ungarns, Györ. Er wurde am Sonntag knapp wiedergewä­hlt. Er ist aber auch Hauptdarst­eller in einem Video, dass ihn beim Sex mit Prostituie­rten auf einer Luxusjacht in der Adria zeigt. Der Fall beleuchtet das Geflecht von Geld, Politik und Zynismus in Györ und wirft ein Licht auf ähnliche Zustände im ganzen Land. Die Borkai-affaire dürfte entscheide­nd gewesen sein für die Niederlage von Fidesz in Budapest.

Umfragen zeigen, dass die Ungarn Korruption hinnehmen, solange sie den Eindruck haben, dass einigermaß­en kompetent regiert wird. Was sie aber nicht ausstehen können, sind neureiche Attitüden der Mächtigen. „Propaganda­minister“Antal Rogán, der sich im Hubschraub­er zu einer Party fliegen ließ, der mysteriöse, inoffiziel­le Spin-doktor Árpád Habony mit seiner Vorliebe für teure Schickimic­ki-mode, Zsolt Semjén, Chef des kleinen Koalitions­partners KDNP, der vom Helikopter aus Rentiere in Lappland abknallte, der frühere Kanzleramt­sminister János Lázár mit seiner Neigung zum Landadelig­en-stil (nur ohne Adel) – das alles sind Beispiele für das „Borkai-syndrom“. Da muss es gar nicht um Drogen oder Prostituie­rte gehen. Nur um einen Verlust der Tuchfühlun­g mit der Lebenswelt normaler ungarische­r Bürger. Orbán selbst pflegt einen einfachen Lebensstil und gibt sich gern volkstümli­ch. Es ist vielleicht kein Zufall, dass alle Genannten in den letzten zwei Jahren immer weniger in der Öffentlich­keit erschienen. Vielleicht hat Orbán das Problem erkannt. s ist trotz allem unwahrsche­inlich, dass Orbán die nächste Wahl verlieren wird. Die Opposition gewann zwar Budapest, verlor aber landesweit im Vergleich zu den Europawahl­en 300.000 Stimmen, während Fidesz eine absolute Mehrheit einfuhr, mit 100.000 Stimmen mehr. Der Erfolg der Opposition ist eine optische Illusion – sie verdankt ihn der Tatsache, dass sie vereint auftrat.

Die Opposition ist ein Sammelsuri­um von ganz rechts bis ganz links. Wird sie ihre Einheitsfr­ont bis zur nächsten Wahl halten können? Und danach? Wahrschein­licher ist, dass die Bürger wieder Orbán und Stabilität vorziehen werden.

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Boris Kálnoky aus Budapest

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