Es geht um mehr als nur um die irische Grenze
Der Jubel über den neuen Deal ist groß, aber ist er auch gerechtfertigt? Wie ein Eu-gipfel in den Brexit-bann geriet und was nun folgt.
Ewig hat man das Gefühl, es geht nichts weiter. Und dann ist er da, der Augenblick der Wende, von dem an die komplizierten Verhandlungen eine scheinbar nicht zu stoppende Eigendynamik bekommen. Beim Brexit war dieser Zeitpunkt vergangenen Donnerstag, als sich der britische Premier Boris Johnson mit seinem irischen Amtskollegen Leo Varadkar traf und die beiden Herren mit der Nachricht auseinandergingen, dass London nun doch zu neuen Verhandlungen bereit sei.
Über das Wochenende holten die Verhandlungsteams alles heraus, was möglich war, bis gestern Mittag Eu-chefverhandler Michel Barnier und Kommissionspräsident Jeangenkurs Juncker gemeinsam verkündeten: „Wir haben einen Deal.“Die Nachricht kam wenige Stunden vor Beginn des Euherbstgipfels, der bis dahin bereits derart im Bann der Entwicklungen gestanden war, dass Ratspräsident Donald Tusk nicht einmal eine brauchbare Tagesordnung hatte liefern können. Die Staats- und Regierungschefs der EU-27 sollten den Vorschlag annehmen, lautete die Empfehlung Junckers und Barniers; Letzterer genießt in der EU höchstes Ansehen, er wird nach wie vor als Kandidat Frankreichs für einen Kommissarsposten genannt. Und so traf der neue Plan auf allgemeines Wohlwollen. Noch vor dem Abendessen stimmten die EU27 dem anscheinenden Ausweg aus der Misere zu, lächelnde Gesichter allerorten im riesigen Ratsgebäude. Geschafft!
So neu ist der Vorschlag gar nicht, denn einen ähnlichen hatte die EU schon 2018 Theresa May gemacht und war damit gescheitert. Neu ist, dass nicht ganz Großbritannien zum Verbleib in einer Zollunion mit der EU verpflichtet wird (Hauptkritikpunkt am „Backstop“), sondern nur Nordirland, das somit einen Sonderstatus mit Vorteilen aus „beiden Welten“erhält. Damit soll auf der Grünen Insel eine harte Grenze vermieden und der fragile Friede bewahrt werden, dafür muss es nun aber Kontrollen des Warenverkehrs in der Irischen See geben – einer der Gründe, warum die nordirische DUP immer noch auf Geclaude ist. Als weiteres Zugeständnis an die Iren soll ihr Parlament alle vier Jahre darüber befinden können, ob es die Lösung fortführen will.
Letzten Endes geht es aber um weit mehr als die irische Grenze. Kommt dieser Deal nun tatsächlich zustande, öffnet er den Weg zur im Vertrag vorgesehenen Übergangsfrist bis Ende 2020 oder sogar 2022, in der die unzähligen Detailpunkte einer zukünftigen Beziehung der EU mit Großbritannien abgearbeitet werden können.
Obgleich der Ausgang noch offen ist, herrschte also breite Zustimmung beim Gipfel. „Wir haben einen Deal, der uns erlaubt, Chaos und eine konfliktgeladene Atmosphäre mit Großbritan