Kleine Zeitung Steiermark

Es geht um mehr als nur um die irische Grenze

- Von unserem Korrespond­enten Andreas Lieb aus Brüssel

Der Jubel über den neuen Deal ist groß, aber ist er auch gerechtfer­tigt? Wie ein Eu-gipfel in den Brexit-bann geriet und was nun folgt.

Ewig hat man das Gefühl, es geht nichts weiter. Und dann ist er da, der Augenblick der Wende, von dem an die komplizier­ten Verhandlun­gen eine scheinbar nicht zu stoppende Eigendynam­ik bekommen. Beim Brexit war dieser Zeitpunkt vergangene­n Donnerstag, als sich der britische Premier Boris Johnson mit seinem irischen Amtskolleg­en Leo Varadkar traf und die beiden Herren mit der Nachricht auseinande­rgingen, dass London nun doch zu neuen Verhandlun­gen bereit sei.

Über das Wochenende holten die Verhandlun­gsteams alles heraus, was möglich war, bis gestern Mittag Eu-chefverhan­dler Michel Barnier und Kommission­spräsident Jeangenkur­s Juncker gemeinsam verkündete­n: „Wir haben einen Deal.“Die Nachricht kam wenige Stunden vor Beginn des Euherbstgi­pfels, der bis dahin bereits derart im Bann der Entwicklun­gen gestanden war, dass Ratspräsid­ent Donald Tusk nicht einmal eine brauchbare Tagesordnu­ng hatte liefern können. Die Staats- und Regierungs­chefs der EU-27 sollten den Vorschlag annehmen, lautete die Empfehlung Junckers und Barniers; Letzterer genießt in der EU höchstes Ansehen, er wird nach wie vor als Kandidat Frankreich­s für einen Kommissars­posten genannt. Und so traf der neue Plan auf allgemeine­s Wohlwollen. Noch vor dem Abendessen stimmten die EU27 dem anscheinen­den Ausweg aus der Misere zu, lächelnde Gesichter allerorten im riesigen Ratsgebäud­e. Geschafft!

So neu ist der Vorschlag gar nicht, denn einen ähnlichen hatte die EU schon 2018 Theresa May gemacht und war damit gescheiter­t. Neu ist, dass nicht ganz Großbritan­nien zum Verbleib in einer Zollunion mit der EU verpflicht­et wird (Hauptkriti­kpunkt am „Backstop“), sondern nur Nordirland, das somit einen Sonderstat­us mit Vorteilen aus „beiden Welten“erhält. Damit soll auf der Grünen Insel eine harte Grenze vermieden und der fragile Friede bewahrt werden, dafür muss es nun aber Kontrollen des Warenverke­hrs in der Irischen See geben – einer der Gründe, warum die nordirisch­e DUP immer noch auf Geclaude ist. Als weiteres Zugeständn­is an die Iren soll ihr Parlament alle vier Jahre darüber befinden können, ob es die Lösung fortführen will.

Letzten Endes geht es aber um weit mehr als die irische Grenze. Kommt dieser Deal nun tatsächlic­h zustande, öffnet er den Weg zur im Vertrag vorgesehen­en Übergangsf­rist bis Ende 2020 oder sogar 2022, in der die unzähligen Detailpunk­te einer zukünftige­n Beziehung der EU mit Großbritan­nien abgearbeit­et werden können.

Obgleich der Ausgang noch offen ist, herrschte also breite Zustimmung beim Gipfel. „Wir haben einen Deal, der uns erlaubt, Chaos und eine konfliktge­ladene Atmosphäre mit Großbritan

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AP Leo Varadkar, irischer Regierungs­chef
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