„Es reicht nicht, wenn sich Kurz und Kogler verstehen“
Heidi Glück war Sprecherin von Ex-övp-kanzler Schüssel, Karin Strobl Kommunikationschefin der Grünen. Ist Türkis-grün nur ein Hirngespinst?
Ist eine türkis-grüne Koalition überhaupt machbar?
GLÜCK: Ja, wenn beide wollen. STROBL: Wenn man die Chance nützen will, dann jetzt.
Ist die Kluft, seit die ÖVP türkis tickt, nicht unüberwindbar?
GLÜCK: Es mag in Fragen wie Migration und Soziales Werteverschiebungen gegeben haben, die Grünen sind heute weniger ideologisch. Soll das Projekt gelingen, muss Pragmatik Vorrang haben vor Ideologie.
STROBL: Die Grünen sind durch ihre Regierungsbeteiligung in den Ländern reifer geworden. Kogler hat die Partei neu aufgestellt und externe Experten auf die Liste geholt.
Würden sich manche Wähler nicht von Kurz verraten fühlen, wenn er mit den Grünen koaliert?
GLÜCK: Man darf es nicht monothematisch sehen. Auch jene Wähler, denen Migration wichtig ist, haben Interesse an einer soliden Wirtschafts- und Standortpolitik. Wenn das Gesamtkonzept stimmt, kann man auch Leute überzeugen, die früher FPÖ gewählt haben.
Wie sehr muss Kurz seine Rhetorik ändern?
GLÜCK: Kurz hat klare Überzeugungen, eine klare Sprache. Er ist ein Überzeugungspolitiker, der es kommunikativ schafft, nachzuvollziehen, warum Position modifiziert worden sind.
Sind nicht die Wiener Grünen ein Problem?
STROBL: Die Grünen sind eine bunte Truppe. Kogler ist der Mann der Stunde, hat die Partei hinter sich. Dass er Hebein hineinnimmt, zeigt, dass er sich nicht auseinanderdividieren lässt.
GLÜCK: Es reicht nicht, wenn sich Kurz und Kogler verstehen. Kogler muss auch intern überzeugen. Die Regierungsarbeit muss von allen mitgetragen werden. Das bedarf Disziplin. STROBL: Die Disziplin ist da. Wo immer die Grünen regieren, gibt es keine Störmanöver. Überall werden die Koalitionen sogar erneuert.
GLÜCK. Bei den Wiener Grünen sitzen die größten Kritiker. Mit der Hereinnahme von Hebein zeigt Kogler, dass er den Konsens nicht nur mit der ÖVP, sondern auch mit den eigenen Reihen sucht. Das ist das Handwerk des Regierens. Regieren ist anders als Oppositionsarbeit. Man fordert nicht mehr, sondern formuliert Gestaltungsvorschläge, die budgetär unterfüttert sein müssen, nicht den Standort gefährden. Man muss lernen, nicht nur Kompromisse zu schließen, sondern diese auch mitzutragen, selbst wenn man sich nicht zu 100 Prozent durchgesetzt hat.
Die türkis-grüne Schnittmenge ist überschaubar. Wie kommt man zusammen? Was ist von der Idee zu halten, dass man etwa vier türkise und vier grüne Leuchtturmprojekte definiert?
GLÜCK: Ich halte nichts davon. Einschnitte beim Klima haben Auswirkungen auf Budget, Wirtschaft, Verkehr. Das kann man nicht auseinanderdröseln. Ich würde zuerst die harten Themen angehen: Migration, Soziales, Finanzen, Klima. Da klärt sich am schnellsten, ob man überhaupt zusammenfindet. Beide Seiten müssen bereit sein, Abstriche zu machen. Entscheidend ist, ob man es schafft, ein gemeinsames Projekt für die Zukunft zu definieren, wo sich beide Seiten wiederfinden. STROBL: Ich bin dagegen, dass man immer nur die Differenzen sieht. Wie oft hat die ÖVP mit der SPÖ regiert? Waren die Differenzen geringer als zwischen ÖVP und Grünen? Die Grünen sind zum Kompromiss fähig. GLÜCK: Es geht nicht darum, wer sich wo durchsetzt. In jedem Punkt – Pensionen, Pflege, Klima – müssen sich beide Seiten abgebildet fühlen. Es geht um das Prinzip: leben und leben lassen. Du darfst den anderen nicht überfordern. Weder die Grünen dürfen die ÖVP überfordern, noch darf die ÖVP die Grünen überfordern. Politik ist die Kunst des Machbaren. Kurz und Kogler traue ich zu, dass sie es beherrschen.