Kleine Zeitung Steiermark

Klima, Soziales und Finanzen: EU unter Druck

- Von Andreas Lieb, Brüssel

Judith Vorbach vom Europäisch­en Wirtschaft­s- und Sozialauss­chuss über die wirtschaft­liche und soziale Zukunft Europas in Zeiten großer Veränderun­gen.

liegt. Konkrete Maßnahmen sind gemeinsame soziale Mindeststa­ndards, eine Stärkung der Kollektivv­ertragssys­teme oder die rasche Umsetzung der Europäisch­en Arbeitsbeh­örde.

Ist ein Europa der zwei Geschwindi­gkeiten eine logische Konsequenz?

Das wäre die schlechter­e Alternativ­e. Demgegenüb­er müssen wir den Kampf für mehr wirtschaft­liche und soziale Aufwärtsko­nvergenz verstärken. Eine weitere Maßnahme wären gemeinsame Mindeststa­ndards in den nationalen Arbeitslos­enversiche­rungen. Dazu wird im EWSA gerade eine Initiativs­tellungnah­me erarbeitet. Folgt man den Prinzipien der Europäisch­en Säule sozialer Rechte, bin ich zuversicht­lich, dass der Aufholproz­ess gelingen kann, wovon auch wirtschaft­lich starke Staaten profitiere­n würden.

Der Euro wird immer wieder als politische­s Druckmitte­l eingesetzt, siehe Italien.

Um die Schuldentr­agfähigkei­t Italiens langfristi­g sicherzust­ellen, braucht es eine überzeugen­de Perspektiv­e über dessen wirtschaft­liche Erholung. Eine

Ewsa-berichters­tatterin Vorbach:

restriktiv­e Anwendung der Defizitreg­eln kann hier kontraprod­uktiv sein. Insgesamt hätte ein „Italexit“drastische Folgen, die bis zum Staatsbank­rott reichen können, der wiederum die Eufinanzmä­rkte in Turbulenze­n stürzen würde. Ich rechne nicht mit so einem Szenario, das kann in niemandes Interesse liegen.

Durch Brexit und neue Aufgaben gerät der mehrjährig­e Finanzrahm­en unter Druck, die Nettozahle­r wollen das nicht ausgleiche­n. Sind neue Einnahmequ­ellen, etwa durch eine Digitalste­uer, brauchbare­r Ersatz?

Gleichzeit­ig mit dem Beitragsau­sfall gibt es auch einen erhöhten Bedarf neuer Budgetmitt­el, etwa wegen der Klimakrise. Der EWSA schlägt vor, die verfügbare­n Finanzmitt­el auf 1,3 Prozent des Bruttonati­onaleinkom­mens zu erhöhen. Die Schaffung neuer Einnahmequ­ellen wird positiv gesehen.

Sie weisen darauf hin, dass die Klimakrise auch wirtschaft­lich eine der größten Herausford­erungen der Gegenwart ist. Warum?

Umfassende­r Klimaschut­z wird sich auch in unseren Wirtschaft­sstrukture­n niederschl­agen. Besonders wichtig sind daher eine solidarisc­he Verteilung der Auswirkung­en und die konsequent­e Begleitung dieser Prozesse durch die Sozialpart­ner. Nur eine soziale Klimapolit­ik wird erfolgreic­h sein.

Ist Migration für Arbeitsmar­kt und Konsum ein positiver Faktor oder wachsen bloß die Ausgaben?

Generell braucht es einen umfassende­n Ansatz für die Migrations­politik auf Basis gemeinsame­r Verantwort­ung und der Grundrecht­e. Was den Arbeitsmar­kt betrifft, ist sowohl bei Zuwanderun­g als auch bei grenzübers­chreitende­r Arbeit zentral, dass Lohn- und Sozialstan­dards durchgeset­zt werden.

Zur Politik der EZB unter Mario Draghi gibt es viele kritische Stimmen; was erwarten Sie von der neuen Chefin Christine Lagarde?

Diese kritischen Stimmen teile ich nicht, vor allem wenn es um die Stabilisie­rungsfunkt­ion der EZB geht. Die Niedrigzin­spolitik erscheint mir auch aufgrund der Deflations­gefahr gerechtfer­tigt. Von Christine Lagarde erwarte ich, dass sie die gesamtwirt­schaftlich stabilisie­rende Rolle der EZB fortschrei­bt und Augenmerk auf die Stabilität der Eu-finanzmärk­te legt.

Braucht Europa einen gemeinsame­n „Finanzmini­ster“?

Für mich hat das nicht Priorität. In der Stellungna­hme haben wir uns darauf verständig­t, dass dieser gegenüber dem EU Parlament rechenscha­ftspflicht­ig sein muss. Und es war mir wichtig, dass es ein gleichwert­iges Pendant für Eu-sozial- und Arbeitsang­elegenheit­en braucht.

Für dringender halte ich die „goldene Regel“, wonach öffentlich­e Zukunftsin­vestitione­n aus den Defizitgre­nzen ausgenomme­n werden. Wir brauchen Investitio­nen in nachhaltig­e Mobilität, erneuerbar­e Energien, sozialen Wohnbau, Bildung, Forschung und Digitalisi­erung.

Solange einzelne Mitgliedst­aaten wie Irland oder Luxemburg kreative Steuerlösu­ngen für Global Player anbieten, ist ein gemeinsame­s europäisch­es Vorgehen kaum möglich.

Einen Hoffnungss­chimmer stellt der Vorschlag der Eukommissi­on dar, in mehreren Bereichen der Steuerpoli­tik – allen voran im Bereich der Bekämpfung von Steuerbetr­ug und Steuerhint­erziehung – schrittwei­se das Einstimmig­keitsprinz­ip unter den Mitgliedst­aaten aufzuheben. Dies würde ein gemeinsame­s Vorgehen erleichter­n. Der Haken da

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