Klima, Soziales und Finanzen: EU unter Druck
Judith Vorbach vom Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die wirtschaftliche und soziale Zukunft Europas in Zeiten großer Veränderungen.
liegt. Konkrete Maßnahmen sind gemeinsame soziale Mindeststandards, eine Stärkung der Kollektivvertragssysteme oder die rasche Umsetzung der Europäischen Arbeitsbehörde.
Ist ein Europa der zwei Geschwindigkeiten eine logische Konsequenz?
Das wäre die schlechtere Alternative. Demgegenüber müssen wir den Kampf für mehr wirtschaftliche und soziale Aufwärtskonvergenz verstärken. Eine weitere Maßnahme wären gemeinsame Mindeststandards in den nationalen Arbeitslosenversicherungen. Dazu wird im EWSA gerade eine Initiativstellungnahme erarbeitet. Folgt man den Prinzipien der Europäischen Säule sozialer Rechte, bin ich zuversichtlich, dass der Aufholprozess gelingen kann, wovon auch wirtschaftlich starke Staaten profitieren würden.
Der Euro wird immer wieder als politisches Druckmittel eingesetzt, siehe Italien.
Um die Schuldentragfähigkeit Italiens langfristig sicherzustellen, braucht es eine überzeugende Perspektive über dessen wirtschaftliche Erholung. Eine
Ewsa-berichterstatterin Vorbach:
restriktive Anwendung der Defizitregeln kann hier kontraproduktiv sein. Insgesamt hätte ein „Italexit“drastische Folgen, die bis zum Staatsbankrott reichen können, der wiederum die Eufinanzmärkte in Turbulenzen stürzen würde. Ich rechne nicht mit so einem Szenario, das kann in niemandes Interesse liegen.
Durch Brexit und neue Aufgaben gerät der mehrjährige Finanzrahmen unter Druck, die Nettozahler wollen das nicht ausgleichen. Sind neue Einnahmequellen, etwa durch eine Digitalsteuer, brauchbarer Ersatz?
Gleichzeitig mit dem Beitragsausfall gibt es auch einen erhöhten Bedarf neuer Budgetmittel, etwa wegen der Klimakrise. Der EWSA schlägt vor, die verfügbaren Finanzmittel auf 1,3 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu erhöhen. Die Schaffung neuer Einnahmequellen wird positiv gesehen.
Sie weisen darauf hin, dass die Klimakrise auch wirtschaftlich eine der größten Herausforderungen der Gegenwart ist. Warum?
Umfassender Klimaschutz wird sich auch in unseren Wirtschaftsstrukturen niederschlagen. Besonders wichtig sind daher eine solidarische Verteilung der Auswirkungen und die konsequente Begleitung dieser Prozesse durch die Sozialpartner. Nur eine soziale Klimapolitik wird erfolgreich sein.
Ist Migration für Arbeitsmarkt und Konsum ein positiver Faktor oder wachsen bloß die Ausgaben?
Generell braucht es einen umfassenden Ansatz für die Migrationspolitik auf Basis gemeinsamer Verantwortung und der Grundrechte. Was den Arbeitsmarkt betrifft, ist sowohl bei Zuwanderung als auch bei grenzüberschreitender Arbeit zentral, dass Lohn- und Sozialstandards durchgesetzt werden.
Zur Politik der EZB unter Mario Draghi gibt es viele kritische Stimmen; was erwarten Sie von der neuen Chefin Christine Lagarde?
Diese kritischen Stimmen teile ich nicht, vor allem wenn es um die Stabilisierungsfunktion der EZB geht. Die Niedrigzinspolitik erscheint mir auch aufgrund der Deflationsgefahr gerechtfertigt. Von Christine Lagarde erwarte ich, dass sie die gesamtwirtschaftlich stabilisierende Rolle der EZB fortschreibt und Augenmerk auf die Stabilität der Eu-finanzmärkte legt.
Braucht Europa einen gemeinsamen „Finanzminister“?
Für mich hat das nicht Priorität. In der Stellungnahme haben wir uns darauf verständigt, dass dieser gegenüber dem EU Parlament rechenschaftspflichtig sein muss. Und es war mir wichtig, dass es ein gleichwertiges Pendant für Eu-sozial- und Arbeitsangelegenheiten braucht.
Für dringender halte ich die „goldene Regel“, wonach öffentliche Zukunftsinvestitionen aus den Defizitgrenzen ausgenommen werden. Wir brauchen Investitionen in nachhaltige Mobilität, erneuerbare Energien, sozialen Wohnbau, Bildung, Forschung und Digitalisierung.
Solange einzelne Mitgliedstaaten wie Irland oder Luxemburg kreative Steuerlösungen für Global Player anbieten, ist ein gemeinsames europäisches Vorgehen kaum möglich.
Einen Hoffnungsschimmer stellt der Vorschlag der Eukommission dar, in mehreren Bereichen der Steuerpolitik – allen voran im Bereich der Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung – schrittweise das Einstimmigkeitsprinzip unter den Mitgliedstaaten aufzuheben. Dies würde ein gemeinsames Vorgehen erleichtern. Der Haken da