Zum Autor
Den Schlitten nahm ich in die rechte Hand, die rechte Hand des Großvaters in die linke. Und so stapften wir davon, fort von dem Haus, wo jeden Augenblick das Christkind landen konnte – so, wie wir in jener Zeit des Jahres alle Jahre wieder just dann, wenn es spannend wurde, davongestapft waren. er Onkel und die Tante bewohnten in Wirklichkeit kein Knusper-, sondern ein Schrebergartenhäuschen, und sie waren auch gar nicht meine echte Tante und mein echter Onkel, sondern ich hatte sie nur so gern,
DAndreas Unterweger, geboren 1978 in Graz; lebt in Leibnitz und Graz. Schriftsteller, Songwriter und Co-herausgeber der Literaturzeitschrift „manuskripte“. 2018 erschien von ihm der Erzählband „Grungy Nuts“(Droschl). Verheiratet, Vater zweier Töchter. als wären sie’s. Trotzdem erging es mir dort immer wie dem Hänsel im Märchen. Sprich: Ich wurde gnadenlos gemästet – glücklicherweise ohne kannibalistische Absicht.
Jener Heilige Abend bildete da keine Ausnahme. Während mir das dritte Lebkuchenhaus noch ebenso gut schmeckte wie dem Waldbauernpeter seine eine Jausensemmel, übten sich der Onkel und der Großvater, im Hinblick auf den abendlichen Schmaus, im Fasten: „Wenn man nie und nie einen Mangel zu leiden hat, wie ist man da arm!“
Um die Zeit nicht nur mit Aphorismen totschlagen zu müssen, entkorkte der Onkel unser Geschenk. Dann beschenkte er den Großvater, sie schenkten sich gegenseitig ein, und nachdem auch dieses Präsent geleert, ein weiteres ausgepackt und sogar der Geist einer vergangenen Weihnacht seiner Schnapsflasche entstiegen war, wurde es langsam besinnlich …
Der Großvater erzählte Witze, erst witzige, dann welche, die ich nicht verstand, dafür lachte der Onkel Tränen. Nur die Tante fand dies weniger zauberhaft und zitierte den Realisten Rosegger: „Das schnelle Schlucken ist nicht gesund!“Dass sie recht behalten sollte, zeigte sich bei Anbruch der Dämmerung, dem Zeichen zum Aufbruch, den der Großvater, unbewusst einem seiner Witze entsprechend, eher als Zusammenbruch interpretierte.
„Steh auf, Faulenzer“, sagte da die Tante zum Onkel, „jetzt höre, was ich dir sage. Du nimmst den Großvater beim Arm, denn der Pfad ist schlecht und die Stege vereist. Außerdem ist der Zustand des guten Mannes ganz allein deine Schuld!“
Und so stapften wir wieder davon, diesmal zu dritt. paziergänge mit meinem Großvater waren immer schön, so lustig wie dieser aber war noch keiner gewesen. Die alten Herren sangen, schunkelten und tanzten mit vollen roten Wangen hinter mir her, und als wir den steilen Weg erreichten, der vom Wald zum Dorfteich hinunterführte, rodelten die zwei, zu meiner
SBegeisterung, neben mir den Abhang hinunter – und das ganz ohne Schlitten!
Die Schwierigkeiten begannen erst später – zu Hause nämlich, wo uns die weitaus weniger festlich gestimmte Großmutter schon erwartete. Unter ihrer Weihnachtspredigt verblasste die gute Laune der Herren wie die Umrisse der Nachbarhäuser in der hereinbrechenden Dunkelheit. Während die Großmutter ihrem Gatten heim- und dem Onkel zurück in den Wald leuchtete, setzte ich mich in ans Fenster der warmen Stube und bestaunte die draußen erwachenden Lichter. ch hatte eine glückliche Kindheit, und mein Großvater war mein Held. Dass ich dieses eine Mal etwas länger auf die Bescherung warten musste als üblich – so lange nämlich, bis er wieder fit genug war, um „O Tannenbaum“in der jugendfreien Version zu singen –, tat dem keinen Abbruch. Im Gegenteil. Schließlich sah ich ausgerechnet an diesem Heiligen Abend, just damals, als ich, satt vom Lebkuchen und müde vom Rodeln, am Fenster saß, zum ersten und einzigen Mal in meinem Leben das Christkind! Es bestand ganz aus Lichterketten und flog, einen strahlenden, über und über mit sterngelb funkelnden Geschenken beladenen Schlitten lenkend, am Haus vorbei … Als ich mich umdrehte, saß hinter mir mein Großvater. Seine Wangen leuchteten nun wieder, und da wusste ich: Er hatte es auch gesehen.
Aber wir hüteten uns beide, etwas zu sagen.
I
Ich denke, Unterschiedliches. Meine Botschaft an diese Menschen ist jedenfalls: Ich gebe dir etwas, das du finden kannst, ich lade dich ein, dich an Gott festzumachen.
Ist die Weihnachtsbotschaft zu leise und wird übertönt von Werbung und Punschverkäufern?
Weihnachten ist der beste Lehrmeister dagegen: Es ist nicht im Palast passiert, sondern am Ende der Welt. Der Evangelist Lukas erzählt uns, dass die Hirten die Ersten waren, die die Frohe Botschaft erfahren haben. Zu damaligen Zeiten waren das Kleinkriminelle, da gab es nichts Liebliches.
Woran liegt es dann? Können oder wollen wir nicht mehr verstehen?
Ich würde es so formulieren: Es ist ein wichtiger Teil meines Glaubens, es zeugt von einem Gott, der da ist, der mit mir geht. Mitten in die Finsternis wird diese Botschaft hineingesagt:
Ich kann etwa sagen: Jesus hat sie als Nachfolgerinnen gerufen, sie aber nicht zu Apostelinnen gewählt.
Papst Franziskus hat Maria Magdalena zur „Apostelin der Apostel“ernannt und Paulus, ohne den das Christentum vermutlich nie zur Weltreligion geworden wäre, wurde der Aposteltitel streitig gemacht.
Ja, das stimmt. Die Frage ist: Wie deute ich das? Darüber zu reden, ist ein wichtiger erster Schritt.
Ist das nicht schon zu spät: Der deutsche Kirchenhistoriker Hubert Wolf hat zuletzt gesagt: In Mitteleuropa implodiert die katholische Kirche.
Wenn ich mit den Leuten rede, höre ich beides. Wichtig wäre, dass beide Seiten sich auf das Miteinander-ringen einlassen. Das war vermutlich in geschlossenen Gesellschaften leichter. Aber wollen wir das heute noch? Außerdem muss ich immer wieder feststellen, dass es nicht nur die eine, mitteleuropäische Sichtweise gibt.
Der deutsche Mystiker Angelus Silesius hat im 17. Jahrhundert über Weihnachten geschrieben: „Der Himmel senkt sich, er kommt und wird zur Erden. Wann steigt die Erd’ empor und wird zum Himmel werden?“Wann wird es so weit sein?
Wenn ich Weihnachten ernst nehme, muss ich sagen, er ist schon da. Das ist die eigentliche Botschaft des Festes: Gott zu erfahren, im Hier und Jetzt, das Licht in der Finsternis.