Kleine Zeitung Steiermark

Weihnachte­nmit Widrigkeit­en

- Von Larissa Eberhardt

Platz 5 von 194 belegt Pakistan beim Weltverfol­gungsindex. Im Gespräch mit der Kleinen Zeitung berichten zwei pakistanis­che Christen, wie sie unter

solch widrigen Umständen die Weihnachts­feierlichk­eiten begehen und mit der Angst vor Terroransc­hlägen

umgehen.

Es ist der vierte Advent: Elaine Alam faltet die Hände zum Gebet. Vier wachsame Augen huschen stets über sie. Bewaffnet mit einem Sturmgeweh­r Typ 56, schreiten zwei uniformier­te Männer am Eingang der St.-mary’s-kirche in Lahore auf und ab. Freiwillig­e behalten die Türen im Auge. Dieser Tage kann jedes unbekannte Gesicht Bedrohung bedeuten.

Nur der 25. Dezember ist in Pakistan ein Feiertag, doch wenige Christen im Land haben eine formale, sozial abgesicher­te Anstellung. Ohne Anmeldung sind sie für den Haushalt muslimisch­er Arbeitgebe­r zuständig oder richten in Salons überall in Lahore, Karatschi oder Islamabad die Haare von Kundinnen, die deutlich wohlhabend­er sind als sie. Zu Weihnachte­n nicht arbeiten und die Feiertage begehen zu können, ist für sie keine Selbstvers­tändlichke­it. Nicht alle Arbeitgebe­r seien so „gnädig“, ihre schwarzarb­eitenden Kräfte am 24. Dezember in den Gottesdien­st gehen zu lassen, sagt Elaine Alam. Sie beschreibt sich selbst als „privilegie­rte Christin“. Die 30

ist Generalsek­retärin der Organisati­on Faces in Lahore, die auch zahlreiche österreich­ische Unterstütz­er hat. Heuer war Alam das erste Mal in der Adventzeit zu Gast in Österreich – aus berufliche­n Gründen. „Weniger versteckt“sei Weihnachte­n hier, sagt sie im Gespräch begeistert, und das Wetter sei so viel „festlicher“. In ihrer Heimatstad­t Lahore hat es auch im Dezember noch um die 15 bis 20 Grad. In Pakistan würde die Adventzeit eher im privaten Rahmen zelebriert. Die Ausnahme: größere christlich geprägte Nachbarsch­aften in Punjab. Religiöse Rituale, so entsteht der Eindruck, spielen jedoch eine größere Rolle. Während sich für viele hierzuland­e der Großteil des Advents am Glühweinst­and abspielt, erzählt Alam, dass sie selbstvers­tändlich jeden Adventsonn­tag mit der Familie in ihrer Gemeinde, der St.mary’s-kirche in Lahore, begehe. Gebete beobachtet von den wachsamen Augen der schwer bewaffnete­n Sicherheit­skräfte, die Messen vor Attentäter­n schützen.

Wegen der Diskrimini­erung, die Christen in Pakistan droht, versuchen viele, ihre Religion zu verheimlic­hen. Ein schwierige­s Unterfange­n. Ein christlich­er Name verrate die Herkunft schnell: Jennifer sei zum Beispiel ein klassische­r christlich­er Vorname. „Christlich­e Namen sind oft britisch angehaucht oder haben eine religiöse Bedeutung. Unter britischer Kolonialhe­rrschaft war es eine große Ehre für viele Familien, wenn Missionare ihren Kindern Namen gaben.“as ist auch bei Peter Jacob der Fall. Der 58-Jährige ist Generalsek­retär des Centre for Social Justice und hat viele Jahre für die katholisch­e Kirche Pakistans als Rechtsbeis­tand für religiöse Minderheit­en gearbeitet. Sein Name lässt erahnen, dass auch seine Familie Bezüge zur Kolonialma­cht hatte. „Mein Urgroßvate­r ist 1890 zum Christentu­m konvertier­t. Seit ungefähr dieser Zeit ist meine Famijährig­e

Peter Jacob vom Centre for Social Justice

Dlie sowohl mütterlich­er- als auch väterliche­rseits christlich.“Diese Familienhi­storie ist keineswegs einzigarti­g: Ein Großteil der heutigen Christen hat Vorfahren, deren Konversion auf die Briten zurückzufü­hren ist. „Es gibt aber viele Beweise, die zeigen, dass es das Christentu­m hier schon vor den Briten gab“, erklärt Peter Jacob. „Es gibt Überliefer­ungen, denen zufolge der Apostel Thomas schon im ersten Jahrhunder­t nach Christus durch Pakistan und Indien gereist ist und dort eine kleine Anhängersc­haft gewinnen konnte.“ls ausgebilde­ter Jurist und Politikwis­senschaftl­er arbeitete Jacob 26 Jahre lang für den Justice and Peace Commission­er der katholisch­en Kirche und verteidigt­e unzählige Christen, Hindus und Sikhs vor Gericht. Seinen Beistand suchten oftmals der Blasphemie bezichtigt­e Christen, denn Pakistans fragwürdig­e Gesetze zum Schutze vor Gottesläst­erung und Prophetenb­eleidigung werden vielfach missbrauch­t. Menschen, die nicht muslimisch­en Glaubens sind, sind bedie

A

oft betroffen. „Es gibt einige berühmte Fälle, wie den von Asia Bibi, der vor dem höchsten Gericht verhandelt werden musste, bevor es zu einer Freilassun­g kam“, sagt Jacob. So offen für Missbrauch hat das Gesetz eine rechtliche Tücke: Zeugen können blasphemis­che Aussagen vor Gericht nicht wiederhole­n, ohne selbst der Blasphemie angeklagt zu werden. Eine Einladung fast für falsche Anschuldig­ungen und Denunziati­onen.

„Religiöse Extremiste­n sind oft in Positionen, in denen sie Richter beeinfluss­en können. Richter werden belästigt, bedrängt, bestochen oder gar getötet. Auch wir als Verteidige­r setzen uns einem besonderen Risiko aus“, erklärt der Jurist am Telefon ruhig. Während wir sprechen, hastet Jacob durch die Straßen Lahores. Die Weihnachts­zeit ist für ihn besonders hektisch. 75 Menschen, berichtet er, wurden nach Anschuldig­ungen der Gottesläst­erung bereits Opfer von Lynchmobs, die das Gesetz in die eigenen Hände nahmen. Die Ironie: Das Gesetz, das missbrauch­t wird, um Christen zu diskrimini­eren, stammt noch aus Zeiten der britischen Kolonialhe­rrschaft und sollte das Christentu­m beschützen. rotz Marginalis­ierung setzt sich die Gruppe vehement zur Wehr: Sie engagiert sich politisch und auch von der Angst vor Terror am Weihnachts­abend lassen sich die Gläubigen nicht von der Kirche fernhalten. Trotz der blutigen Historie von Anschlägen im ganzen Land. Immer wieder werden auch christlich­e Kirchen zum Anschlagsz­iel. Jetzt bewachen bewaffnete Polizisten die Eingänge der Gotteshäus­er an diesen Tagen, berichtet Peter Jacob. „In unserer Gemeinde gibt es ausgewählt­e Freiwillig­e, die bei den Sicherheit­skontrolle­n helfen. Sie sind bekannte Gesichter für die Gläubigen – das wirkt beruhigend. Wir wollen die Gemeindemi­tglieder ja nicht abschrecke­n, und die schwer bewaffnete­n muslimisch­en Polizisten vor der Kirche sehen immer sehr beängstige­nd aus. Alle werden beim Rein- und Rausgesond­ers

Then von unseren Freiwillig­en kontrollie­rt. Die Polizei steht nur draußen.“Prozession­en unter freiem Himmel könne man schon lange nicht mehr abhalten, zuletzt sei 2004 ein Versuch gemacht worden, aber große Menschenma­ssen im Freien seien einfach zu schwer zu sichern, berichtet Jacob. „Da verzichten wir natürlich lieber auf unsere traditione­llen Prozession­en, als Menschenle­ben zu riskieren.“Im Gespräch klingt durch, wie schwer es Jacob, einem tiefgläubi­gen Mann, fällt, den Ausdruck seiner Religion einzuschrä­nken. n ihren Häusern sind sie freier. Der Heilige Abend wird ähnlich begangen wie bei uns: Neben dem Gang zur Messe haben sie einen Weihnachts­baum zu Hause, berichtet Alam, die noch bei ihren Eltern lebt, und natürlich gebe es Geschenke. „Früher lagen die Geschenke immer unter dem Weihnachts­baum, wenn wir aus der Kirche kamen. Mittlerwei­le sind meine Schwester und ich aber

Elaine Alam leitet die Organisati­on Faces

Idahinterg­ekommen, dass es unsere Eltern waren, die die Geschenke platziert haben“, erzählt Alam lachend. Auch traditione­lles Essen spiele eine große Rolle: Süßspeisen wie Suji Halwa (eine Grießspeis­e mit Mandeln) oder getrocknet­e Früchte und Kuchen seien typisch in dieser Zeit. Eine von Jacobs liebsten Traditione­n sind die Gesangswet­tbewerbe: Chöre oder einzelne Sänger treten gegeneinan­der an und interpreti­eren Kirchenlie­der. Oft begleitet von den Klängen der Tabla, einer traditione­llen pakistanis­chen Trommel. „Neuerdings gibt es natürlich auch öfter Begleitmus­ik von Handy oder Computer“, fügt Jacob etwas wehmütig an. Jacob ist erst vor wenigen Tagen von einer Reise nach Islamabad zurückgeke­hrt. Begeistert beschreibt er, dass viele Hotels Weihnachts­bäume aufgestell­t hätten. „Natürlich auch für ausländisc­he Gäste, aber es ist auch ein Zeichen der Solidaritä­t mit uns. Solche kleinen Gesten bedeuten uns viel.“

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