Die erstaunliche Charme-attacke
Vom Wolf zum Kuscheltier: Jose Mourinho verblüfft mit
einer Sympathieoffensive die Premier League.
Sein „Entdecker“und Ex-weggefährte Roger Spry
erklärt, wie der Tottenham-trainer tickt.
Als Startrainer Jose Mourinho am 21. November den Pressesaal im Trainingszentrum Enfield am Londoner Tottenham Way betrat, warteten bereits Hunderte elektrisierte Journalisten. Betreten ist das falsche Wort – der charismatische Portugiese erschien, setzte sein gewinnendstes Grinsen auf und verblüffte die Medienvertreter mit ungewohnter Demut, Bescheidenheit und Extralob für den gefeuerten Vorgänger Mauricio Pocchettino.
War der streitbare Egozentriker plötzlich zum „Prince Charming“mutiert oder hatte das Taktikgenie nur alle Register gezogen, um sein Image zu reparieren? In Madrid, in seiner zweiten Ära bei Chelsea und zuletzt bei Manchester United hatte Mourinho seinen Ruf so nachhaltig beschädigt, dass der manische Erfolgsjunkie im Kreise der großen Vereinsbosse längst als heiße Kartoffel galt, an der man sich am besten nicht die Finger verbrennen sollte.
Vier Wochen später scheint Tottenhams Chairman Daniel Levy alles richtig gemacht zu haben: Mourinho, der noch nie zuvor während der Saison eingestiegen ist, legte den Spurs seine magischen Hände auf und katapultierte den strauchelnden Klub mit vier Siegen vom unteren Drittel auf Rang sieben. Das Achtelfinale der Champions League, in dem Leipzig wartet, erreichte Mourinho im Schongang, indem er eine B-elf in die Allianz-arena gegen den FC Bayern schickte. Tottenham zeigt sich jedenfalls wie verwandelt. Allein seine Anwesenheit setzte offensichtlich neue Kräfte frei, der monatelang schwächelnde Spielmacher Dele Alli wirkte urplötzlich wie runderneuert.
Der Mann, der sich im Falle eines Kinofilms über ihn nur George Clooney in der Hauptrolle vorstellen kann, ist wieder auf der ganz großen Fußballbühne angelangt, die Marketing-gurus der Premier League reiben sich euphorisiert die
Hände. „Ich war nicht überrascht, dass er Tottenham übernommen hat. Jose liebt London und hat hier ein wunderschönes Haus. Und der Job bei den Spurs ist für ihn eine fantastische Gelegenheit, es wieder einmal allen zu beweisen, dass er nichts von seinen besonderen Fähigkeiten verloren hat“, weiß Roger Spry, der unter den Teamchefs Josef Hickersberger und Marcel Koller insgesamt zehn Jahre als Conditioning Coach beim ÖFB gearbeitet hat.
von Jose Mourinho: In den frühen 1990er- Jahren werkte er als Assistent unter Malcolm Allison bei Vitoria Setubal. Joses Vater Felix war dort Tormanntrainer. Jose, damals Student der Sportwissenschaften, war bei jedem Training anwesend und machte sich Notizen. „Daraufhin habe ich Allison gesagt, dass Jose ohnehin immer auf dem Platz ist und wir ihn in den Trainerstab aufnehmen sollten“, sich Spry zurück.
1993 waren Mourinho und Spry dann unter dem englischen Trainer Bobby Robson beim legendären Aus von Sporting Lissabon gegen Salzburg im Uefa-cup-achtelfinale (Gesamtscore 2:3) mit dabei – was Robson den Job kostete. „Ich kann nicht nachvollziehen, dass Jose von vielen Trainern, Medien und Fans angefeindet wird. Er ist im normalen Leben extrem höflich und respektvoll. Aber er ist sehr speziell, erfolgsbesessen und tut sich einfach schwer damit, wenn er verliert oder sich benachteiligt fühlt. Außerdem ist er ein guter Schauspieler – und Fußball ist immer noch Entertainment. Vielleicht ist er mit 56 Jahren auch weiser geworden und hat aus Fehlern gelernt“, erzählt Spry, der aktuell als Konsulent für die FIFA und die Nationalverbände von Griechenland und Portugal tätig ist.
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