Abhör-affäre bringt den Premier unter Druck
Ukraines Regierungschef Gontscharuk schimpfte über Präsident Selenskyj – und bot seinen Rücktritt an.
Nach dem Bekanntwerden abfälliger Bemerkungen über Präsident Wolodymyr Selenskyj hat der ukrainische Premier Olexii Gontscharuk seinen Rücktritt angeboten. Um jeden Zweifel an seinem Respekt gegenüber dem Präsidenten auszuräumen, habe er diesem sein Demissionsschreiben übermittelt, schrieb Gontscharuk auf Facebook. Selenskyj hat Gontscharuks Rücktritt am Abend allerdings abgelehnt. Selenskyj forderte allerdings die Sicherheitsorgane auf, binnen zwei Wochen zu ermitteln, wer den Premierminister abgehört hat.
Zuvor war ein Tonmitschnitt bekannt geworden, in dem Gontscharuk bei einem Treffen zwischen Ministern und Vertretern der Zentralbank die Notwendigkeit betont, Selenskyj wirtschaftliche Zusammenhänge in sehr einfachen Worten zu erklären – der Präsident habe lediglich ein „primitives“Verständnis von Wirtschaft und „Nebel im Kopf“. Selenskyj ist ein Politik-neuling, bis zu seinem überraschenden Wahlsieg im Vorjahr war der 41-Jährige als Fernsehkomiker tätig.
In dem Schreiben beteuerte Gontscharuk, dass unter dem Präsidenten viel erreicht worden sei. „Er ist für mich ein Beispiel an Offenheit und Transparenz.“Er habe sein Amt vor knapp fünf Monaten angetreten, um „das Programm des Präsidenten umzusetzen“. Der 35-jährige Jurist hatte sein Amt im August angetreten und gilt als Vertreter liberaler Wirtschaftsreformen. Gontscharuk sagte, die Aufzeichnung erwecke „künstlich den Eindruck, dass mein Team und ich den Präsidenten nicht respektieren. Das ist nicht wahr“. Wer das Gespräch mitgeschnitten hat, ist unklar.
Das Präsidialamt bestätigte das Rücktrittsgesuch. Der Politologe Wolodymyr Fesenko schrieb, der Staatschef werde den Premier lediglich rügen und ihm eine zweite Chance geben. Der Politikexperte Timothy Ash erklärte, es wäre ein „sehr negatives Signal gegenüber den Reformern“, sollte Selenskyj den Regierungschef nur deshalb entlassen, weil dieser bei einem Treffen hinter geschlossenen Türen „gesagt hat, was er denkt“.