Experten sind Ungustl
Das neue türkis-grüne Regierungsprogramm enthält jede Menge Passagen, in denen auf einzurichtende Taskforces und Arbeitsgruppen oder auf durchzuführende Evaluierungen verwiesen wird. Auf wissenschaftliche Expertinnen und Experten in den jeweiligen Bereichen kommt also viel Arbeit zu, es sei denn, die relevanten Gremien werden ausschließlich verwaltungsintern bzw. politikintern besetzt, was ich nicht glaube. Grund genug, sich das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik in Österreich näher anzusehen. Auf Twitter hat András Szigetvari vom „Standard“– inspiriert durch die Bewertung des Regierungsprogramms in den Medien– sinngemäß gefragt, ob es überhaupt eine realistische Reform geben kann, bei der von den Expertinnen und Experten von „großer Wurf “gesprochen wird. In der Tat scheinen die Wörter „großer Wurf “bei Expertinnen und Experten das Wort „kein“auszulösen. Sind Experten also Ungustl gegenüber der Politik?
Es geht um die Arbeitsteilung zwischen zwei gesellschaftlich wichtigen Bereichen: Wissenschaft und Politik. Natürlich ist die Wissenschaft manchmal blauäugig und zu sehr der Argumentation in einer optimalen Welt verhaftet. Natürlich ist die Politik zu oft am kleinsten gemeinsamen Nenner und geringsten Widerstand interessiert. Gerade wegen dieser angelegten Interessenskonflikte ist der ständige Austausch aber unerlässlich. Er fordert beide Seiten heraus, über den Tellerrand zu blicken, und funktioniert nur, wenn beide nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. xpertinnen und Experten fungieren in Medienbeiträgen manchmal als Ersatz einer politischen Opposition. Um einen Beitrag neutral zu gestalten, sucht man sich eher jemanden, der den Regierungsplänen kritisch gegenübersteht. Dass sich einige Expertinnen und Experten in der Rolle des Oberlehrers gefallen, ist auch nicht ganz von der Hand zu weisen. Daher muss klar sein: Expertise ist wichtig als Input für alle Arten des politischen Handelns, aber sie kann politische Entscheidungen nicht ersetzen. Für letztere sind Abwägungen zu treffen, die nicht alleine aus dem Expertentum kommen können.
Martin G. Kocher leitet das Institut für Höhere Studien in Wien und ist Professor an der Universität Wien.
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