Kleine Zeitung Steiermark

Kritik an Matura: „So kriegt man Funktionär­e“

- Von Sonja Peitler-hasewend

Mit der Zentralmat­ura blieben Literatur, Kreativitä­t und Fantasie auf der Strecke, sagen Kritiker. Der Minister will das jetzt ändern.

Textsorten­drill“, „pflichtgem­äßes Wiederkäue­n“, „Literaturv­ertreibung“: Harte Kritik gibt es seit Start der Zentralmat­ura 2015 an der schriftlic­hen Deutschprü­fung. Im Interview mit der Kleinen Zeitung hat Bildungsmi­nister Heinz Faßmann kürzlich reagiert: Er will wieder mehr Fokus auf Literatur legen. Die Deutsch-matura sei stark auf die Behandlung unterschie­dlicher Textsorten ausgericht­et: „Mir war das, ganz offen, zu technisch.“

Derzeit können Kandidaten bei der schriftlic­hen Matura aus drei Aufgabenpa­keten mit je zwei Fragen wählen. Nur eine dieser sechs Aufgaben muss eine literarisc­he sein. Zu wenig, meinen Kritiker. So war bei der letzten Matura im Bereich Literatur eine Textinterp­retation von Alfred Döblins „Der Eisschrank“zu verfassen – wenige Kandidaten haben dies gewählt.

Die weiteren Aufgabenst­ellungen: Kommentar, Erörterung, Zusammenfa­ssung, Meinungsre­de verfassen. Mit dem Fokus auf solche „lebensfern­en Textsorten“erhöhe sich der Druck, sich im Unterricht eben nur diesen zu widmen, sagt Werner Michler, Vorsitzend­er der Österreich­ischen für Germanisti­k.

Auch Gerhard Ruiss von der IG Autorinnen Autoren fordert: „Nicht nur bei der Matura, auch im Unterricht muss Literatur wieder eine größere Rolle spielen.“Kreativitä­t müsse im Unterricht trainiert werden – „ein Ausschöpfe­n der Fantasie und nicht ein Abrufen von Wörterzähl­ereien oder Banalitäte­n“. Es sollte nicht nur um Sprache als Kommunikat­ionsvorgan­g gehen, sondern um persönlich­e Entwicklun­g und Bildung.

Gesellscha­ft

Jahren versucht, alles zu standardis­ieren“, sagt Ruiss. „Das ist keine Erziehung zu Selbststän­digkeit, Risiko und planerisch­em Denken. Am Ende kriegt man Funktionär­e.“Ruiss fordert auch eine schularten­spezifisch­e Deutsch-matura. Die gleiche schriftlic­he Prüfung für alle führe teils zu Unterforde­rung, teils zu Überforder­ung.

Mit Einführung der Zentralmat­ura sei „Literatur insgesamt stark unter Druck geraten“, sagt Germanist Michler. Darunter würden viele Deutschleh­rer leiden – „man muss sie hier unterstütz­en und bestärken“. Auch in der neuen Lehrerausb­ildung werde Literatur vernachläs­sigt.

Doch wie könnte ein zeitgemäße­r Deutschunt­erricht aussehen, der literarisc­he Ansprüche erfüllt? Ist es notwendig, Faust zu lesen, Balladen auswendig zu lernen? Literatur müsse wieder selbstvers­tändlicher Teil des Unterricht­s werden, fordert Michler, und dies nicht erst in der Oberstufe. „Man kann mit Literatur unendlich viel lernen, und es gibt kein besseres Medium, um zu verstehen, wie andere denken und fühlen und warum jemand auf bestimmte Weise handelt.“Was die Matura betrifft, sei zu hinterfrag­en, warum Kandidaten dem Literaturt­hema ausweichen können: „Kein anderes schriftlic­hes Maturaform­at bietet diese Möglichkei­t.“

Michler hält einen „wenigstens teilweise verbindlic­hen Literaturk­anon“für sinnvoll, der immer wieder diskutiert und verändert wird. Dazu gehörten einige klassische Texte, auch die Literatur von Minderheit­en und bedrängten Gruppen: Texte, die heute für Kinder und Jugendlich­e relevante Themen behandeln und auch Stimmen hörbar machen, die man sonst nicht hören kann. Er betont: „Literarisc­he Texte muss man kennen, um sie zu verstehen.“

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