Riskante Verwirrung
Als Chefverhandler für Migration sollte es Nehammer besser wissen, mit seinem Zickzackkurs in Sachen Asylzentren sorgt er dennoch für Wirbel. Ein riskanter Fehltritt.
September 2015, Grenzübergang Nickelsdorf, Burgenland. Tausende Menschen marschieren zu Fuß über die ungarische Grenze ins Land und die rot-schwarze Regierung in ihr herannahendes Ende. Uneinigkeit zwischen den Parteien lähmt den Staat, statt mit klaren Ansagen und Strategien „glänzt“man mit Unsicherheit und Stillstand. Ein Umstand, der die heimische Politik und die Stimmung im Land für immer verändern sollte. Und einer, dessen Wiederholung die frisch geformte türkisgrüne Zweckehe um jeden Preis verhindern will. Ein eigens im Regierungsprogramm festgehaltener Passus soll die Handlungsfähigkeit im Krisenfall garantieren.
Handeln will auch der neue Innenminister Karl Nehammer. Zuerst mit grenznahen Asylverfahren im Notfall, dann mit einem neuen Asylzentrum, dessen Standort noch gesucht wird. Von einer Krisensituation ist keine Rede mehr. Doch nach scharfer Kritik aus den Ländern rudert er zurück, es soll doch keine neuen Zentren geben. Eine 180-Grad-wende in weniger als 24 Stunden.
Der Umstand, dass Nehammer sein Amt erst seit wenigen Tagen ausübt, hätte bei einem anderen Minister als Erklärung für diesen wohl eher unfreiwilligen Zickzackkurs gereicht. Doch wir erinnern uns, dass es der Niederösterreicher war, der als türkiser Chefverhandler für den Bereich Migration in den Regierungsverhandlungen gesessen ist – und damit in jenem Bereich, der die größte potenzielle Bruchstelle zwischen Türkis und Grün darstellt –, jeden Punkt und jedes Komma federführend festgelegt hat. Platz für Missverständnisse dürfte es hier keinen geben.
Unabhängig davon, ob es nun Zentren, Anlaufstellen oder schlichte Prüfungen an den Grenzübergängen geben soll, steht die ÖVP – wie bei der geplanten Sicherungshaft – vor der Herausforderung der verfassungsrechtlichen Vereinbarkeit. Zwar kann der Staat Asylwerbern vorschreiben, wo sich diese während des Verfahrens aufhalten können. Ganz einschränken darf man die Bewegungsfreiheit aber nicht. Zudem stellt sich die Frage, was passiert, wenn sie beispielsweise die Gemeinde Spielfeld nicht verlassen dürfen. Bürgerproteste sind hier programmiert.
Der Gewinner dieses politischen Wirrwarrs dürfte Burgenlands Landeshauptmann Doskozil sein. Nehammer hat ihm die ideale Bühne geliefert, um sich in der heißen Phase des Wahlkampfs als heroischer Verteidiger des Bundeslandes vor den Asylwerbern zu präsentieren. Das dürfte ihm einige Prozentpunkte mehr sichern. enn Türkis-grün nicht durch die Migration entzweit werden soll wie einst Rot-schwarz, dann ist Innenminister Nehammer gefordert, sein grünes Gegenüber nicht mit unüberlegten Vorstößen zu überrumpeln, um diese wenig später zurückzunehmen. Das verwirrt Koalitionspartner wie Bevölkerung. Und dass sich die Politik eine solche Verwirrung in der Migrationsfrage nicht leisten kann, hat ihr jener September 2015 gezeigt.
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