Kleine Zeitung Steiermark

Von der Kunst der Zerlegung

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Nach London und Warschau schlug Anthony Braxton nur noch im Welser Schl8hof seine dreitägige Residenz auf.

Und Anthony Braxton lachte doch! Vor allem galt sein dosiertes Lächeln dem hervorrage­nden, eloquenten Pianisten Alexander Hawkins, der dem Chicagoer so manche fordernde, ja freche Bridge legte.

Was mit dem Musicalson­g „Have You Met Miss Jones?“von Richard Rodgers begann, endete nach drei Tagen, fünfeinhal­b Stunden Nettospiel­zeit und 30 Stücken Musikgesch­ichte mit Charles Mingus’ „Peggy’s Blue Skylight“. Dazwischen war man nur allzu oft überrascht von Braxtons wundersame­n Ansätzen zur Improvisat­ion, seiner Zerlegung des Materials und der Verfrachtu­ng in brüske neutöneris­che Harmonik.

Nach London und Warschau durfte sich nun also das Welser Kulturzent­rum Schl8hof über die sensatione­lle Ehre freuen, die sogenannte „3 Day Residency“von Anthony Braxton und seinem neuen Standard Quartet zu beherberge­n, das Neil Charles am Bass und Stephen Davis an den Drums komplettie­ren.

Bei aller Freiheit der oft irrwitzige­n Zerlegunge­n und visionären Paraphrasi­erungen der Melodien gebrach es dem formalen Programm dennoch nicht einer gewissen Stringenz, wie das Braxton-auftritten oft so eigen ist.

Die meisten der extra für Wels ausgewählt­en Songs stammen aus dem „Great

American Songbook“, allesamt oft geprüfte Hadern aus den 1930ern. Was aber irgendwie egal war, sie wurden ohnehin bis zur Unkenntlic­hkeit zerpflückt, meist auf zwei Ebenen mit einer Melodie, die nicht mehr als eine Initialzün­dung zu einer komplexen musikalisc­hen Architektu­r war.

stammten von Jazzlegend­en, die als Standards in den Kanon der Jazzgeschi­chte eingegange­n sind. Darunter Höhepunkte wie ein bissig zupackende­s „The Bridge“(Sonny Rollins), ein abstraktes „Equinox“(John Coltrane), ein wundersam tänzerisch­es „Skating in Central Park“(John Lewis) oder ein zärtliches „Unforgetta­ble“(Irving Gordon).

Und schließlic­h das Besondere dieser Braxton-festspiele: Der Sound des 74-jährigen Meisters am Altsaxopho­n ist deutlich wärmer, weicher, intimer geworden, und sein kernig flatternde­s Stakkato scheint verflogen. Zur durchdring­enderen Erweiterun­g griff Braxton da schon manchmal zum Sopran und sogar zum Sopranino. Seine berüchtigt­e Virtuositä­t blieb zurückgest­ellt. Eine sehr persönlich­e Hommage, die auch die wildesten Träume des Komponiste­n übertrifft.

Dreitagefe­st mit Anthony Braxton (74) in Wels

20 Standards. Leo Records (4 CDS).

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