Die Politik von Liebe und Lügen
Nahostkonflikt meets Familiendrama: Sandy Lopicˇ i´c inszeniert Wajdi Mouawads „Vögel“als große Show um große Gefühle. Anstrengend, aber letztlich höchst souverän.
sem ereignis- und wendungsprallen Drama, das sich zutraut, Nahostkonflikt, Shoah, Heimat, Herkunft, Erblast, Religion, Zugehörigkeit in knapp drei Stunden zu verhandeln.
Im Grenzgebiet zwischen Märchen, Thriller und Konversationsstück argumentiert der libanesisch-frankokanadische Autor Wajdi Mouawad in seinem souverän designten Erfolgsstück „Vögel“, dass unsere Identitätskonstrukte genauso
sind wie die Glaubenssätze, an die wir uns im Leben klammern.
Im September erlebte „Vögel“am Wiener Akademietheater die österreichische Erstaufführung – in tragikomischem Glanz: Ingmar Bergman mal Woody Allen. Am Grazer Schauspielhaus setzt nun Regisseur Sandy Lopicˇic´ ganz auf die dramatischen Elemente des Werks und konstruiert eine große Show um große Gefühle; das geht so weit, dass in den Span
nungsmomenten Sprechlautstärken und Live-begleitmusik stets verlässlich zu seifenopernhafter Vehemenz anschwellen. Und doch gelingt Lopicˇic´ das Bravourstück, sein Publikum bei der Stange zu halten: durch ein exzellent geführtes Ensemble, das eindringliche Emotionalität und prägnante Menschenbilder liefert. Da brillieren Katrija Lehmann und Frieder Langenberger als ungelenkes junges Liebespaar Wahida und Eitan, da offenbaren Subrüchig sanne Konstanze Weber und Mathias Lodd als Elternpaar in ihren schroffen Routinen die typische Mischung aus Zärtlichkeit, Mitgefühl und Anzipf, die für das Verhältnis vieler altgedienter Eheleute prägend ist.
Beatrice Frey und Gerhard Balluch ergänzen als von Krieg, Liebe und Lügen zerriebenes Großelternpaar die Generationenporträts. Starke Marginalien liefern Anna Szandtner, Nico Link und Hayder Wahab, der als Phantom des Leo Africanus, eines um 1500 wohl zwangschristianisierten Moslems namens al-hasan ibn Muhammad al-wazzan durch das Stück geistert: Totemwesen dieses Häufleins Entwurzelter.
Das alles im hinreißenden, von Viktor Fellegi zauberisch ausgeleuchteten Bühnenbild von Vibeke Andersen: ein übergroßes gläsernes Y-chromosom fungiert abwechselnd als Bibliothek, Tanztempel, Krankenzimmer und Eiskerker des komatösen Eitan. Berückende Bilder für einen Abend, der unbedingt überwältigen will – und der bei aller zeitweise strapaziösen Hyperintensität letztlich souverän reüssiert.