Klangkeramik zwischen Goethe, Rilke und modernen Beats
Das neue Pop-wunder heißt Oehl und besteht aus einem Wiener Texter und einem isländischen Multiinstrumentalisten.
Fragil klingt die Klangkeramik des neuen Pop-wunder-duos Oehl, bestehend aus dem Wiener Sänger Ariel Oehl und dem isländischen Multiinstrumentalisten Hjörtur Hjörleifsson. Fragil, ohne aber gebrechlich zu wirken. Archaisch, jedoch keineswegs überholt führen die Texte durch dieses musische Dickicht, das sich aus vielen Einzelteilen und -instrumenten zusammensetzt.
Gerade hat das Duo, das sich vor einigen Jahren über das Internet kennengelernt hat, sein traumhaftes Debütalbum „Über Nacht“vorgelegt. Darauf finden sich elf tanzbare Gedichte, die irgendwo zwischen Tame Impala und James Blake angesiedelt sind. Der federleichten Song-kulisse sei ein regelrechter Kraftakt vorausgegangen, sagt Ariel Oehl. „Es gibt wahnsinnig viel Musik, der man anhört, wie aufwendig und genial produziert
Livetermine:
www.oehlmusic.com
sie ist. Ich wollte ein Album aufnehmen, das so einfach klingt wie ein Kinderlied.“So tanzbar und naiv der Musikduktus ist, so sperrig wirken die Texte. Dur trifft sozusagen auf Moll. Ariel Oehl hat sich für eine schüchterne, schemenhafte Sprache entschieden, der es nicht an dunklen Schattierungen fehlt. Die Kompositionen sind Soundtracks „zum Alleine-hören“.
Auf dem Song „Über Nacht“trifft man auf den Fährmann der Unterwelt. Auf „Wolken“stechen rostige Nägel ins fahle
Tageslicht. Im Lied „Neue Wildnis“wird der skeptische Rilke zitiert, auf „Tausend Formen“ein Vierzeiler Goethes ganz selbstverständlich zum wiederkehrenden Versmotiv. „Ich habe eine Schwäche für Gedichte und Lyrik. Wohl auch, weil meine Aufmerksamkeitsspanne für ganze Romane nicht ausreicht“, verrät Ariel Oehl im Interview schelmisch. In den Texten wollte er der knarzigen deutschen Sprache neues Leben einhauchen. „Das Pure aus dem Altbewährten rausholen“will Oehl.
Mit „Über Nacht“hat das Wiener Pop-duo eine betörende Wiege für seine Hörerschaft gezimmert, in der die Poesie noch lebt, in der man verweilt statt eilt und die Magie des Details Wertschätzung erfährt. „Physische Rückzugsorte haben für mich weniger Kraft. Deshalb mag ich den Schlaf und den Traum“, sagt Ariel Oehl. Julian Melichar