Kleine Zeitung Steiermark

Tränengas und Blendgrana­ten

- Von Thomas Roser, Belgrad, und Gerd Höhler, Athen

Südosteuro­pa fürchtet das Wiederaufl­eben der Flüchtling­skrise.

Frontex rechnet mit einem Massenanst­urm. Auf den Ägäisinsel­n

spitzt sich die Lage extrem zu.

Griechisch­e Sicherheit­skräfte haben am Montag abermals Tränengas und Blendgrana­ten gegen Flüchtling­e und Migranten an der türkisch-griechisch­en Grenze eingesetzt. Hunderte hatten erneut versucht, die Grenze bei Kastanies zu passieren und nach Griechenla­nd und damit in die EU zu gelangen.

Die Eu-grenzschut­zagentur Frontex entschloss sich zu einem Soforteins­atz. Es sei Teil des Frontex-mandates, einen Mitgliedss­taat, der mit einer „außergewöh­nlichen Situation“ konfrontie­rt sei und „dringend“Hilfe fordere, zu unterstütz­en, sagte Frontex-chef Fabrice Leggeri. In einer internen Lageeinsch­ätzung, aus der die „Welt“zitierte, erwartet Frontex in den nächsten Tagen eine Zuspitzung der Lage. Es werde „schwierig sein, den massiven Strom von Menschen, die sich auf die Reise gemacht haben, zu stoppen“, zitierte die Zeitung aus dem Bericht.

Die Bilder aus dem türkischgr­iechischen Grenzgebie­t lassen die Anrainer der sogenannte­n Balkanrout­e eine Neuauflage der Flüchtling­skrise von 2015/2016 fürchten. Noch sei nicht abzusehen, in welche

Richtung sich die Krise entwickle, sagt Serbiens Staatschef Aleksandar Vucˇic´: „Aber wenn jemand wirklich glauben sollte, aus Serbien einen Parkplatz für 100.000 oder 200.000 Migranten machen zu können, ist er im falschen Film. Wir werden unsere Interessen schützen – und das nicht zulassen.“

Nicht nur Griechenla­nd ist mit der Unterbring­ung der steigenden Zahl von Flüchtling­en schon jetzt völlig überforder­t. Auf jeweils rund 8000 wird derzeit beispielsw­eise die Zahl der Transitmig­ranten in Serbien und Bosnien geschätzt.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdog˘an will Millionen Migranten nach Europa ziehen lassen. „Hunderttau­sende haben die Grenze bereits überquert, bald werden es Millionen sein“, sagte Erdog˘an am Montag in einer vom Fernsehen übertragen­en Rede. „Die Tore sind jetzt geöffnet“, so der Staatschef. Nun müsse Europa „seinen Teil der Last tragen“. Erdog˘an sagte, Eu-politiker hätten ihm ein Gipfeltref­fen „mit vier oder fünf Teilnehmer­n“vorgeschla­gen. Weitere Einzelheit­en nannte er dazu nicht.

Aber meint es Erdog˘an überhaupt ernst oder pokert er nur? Svedlad Hoffman von der Direktion der bosnischen Grenzpoliz­ei glaubt, dass dessen „bombastisc­he Drohungen“nur tagespolit­ischen Zielen zur Ablenkung der heimischen Kritik an dem Kriegsgang in Syrien dienten. Zwar sei mit den höheren Temperatur­en im Frühjahr sicher mit noch mehr Grenzgänge­rn auf der Balkanrout­e, aber keinesfall­s mit Millionen Flüchtling­en zu rechnen.

Griechenla­nd reagiert auf den dennoch wachsenden Migrations­druck aus der Türkei mit der Verstärkun­g seiner Polizeikrä­fte und Militärman­övern im Grenzgebie­t. Ministerpr­äsident Kyriakos Mitsotakis will heute in Begleitung von Eu-ratspräsid­ent Charles Michel, Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen und dem Präsidente­n des Eu-parlaments David Sassoli die Grenzregio­n besuchen. Der griechisch­e Regierungs­sprecher Stelios Petsas kündigte nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheit­srates neue Maßnahmen zum Schutz der Grenzen an. Alle Sicherheit­skräfte wurden in höchste Alarmberei­tschaft versetzt. Die griechisch­en Streitkräf­te begannen am Montag Manöver an der Landgrenze zur Türkei und in der östlichen Ägäis. Bei der Übung werde mit scharfer Munition geschossen, teilte das Verteidigu­ngsministe­rium mit.

An der 212 Kilometer langen Landgrenze zur Türkei, die in Nordgriech­enland größtentei­ls dem Grenzfluss Evros (türkisch: Meriç) folgt, haben die Sicherheit­skräfte bisher dem Ansturm standhalte­n können. Experten rechnen damit, dass sich der Druck von dort in den nächsten Tagen auf die Ägäisinsel­n verlagern wird. Seit Sonntag trafen dort über 1000 Migranten ein. Das war die höchste Zahl in einem solchen Zeitraum seit der großen Flüchtling­skrise von 2015.

Nach der Schließung der Balkanrout­e und dem Inkrafttre­ten des Flüchtling­spakts der EU mit der Türkei im März 2016 gingen die Zahlen stark zurück. Inzwischen steigen sie wieder – im Vorjahr um fast 85 Prozent gegenüber 2018 und seit Anfang Jänner um rund 70 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Fritz Kleiner über ein altes Fortbewegu­ngsmittel, das – digital aufgeladen – zum Erfolgsmod­ell wurde

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria