Kleine Zeitung Steiermark

Stabile Sollbruchs­telle

Der Ansturm an der türkisch-griechisch­en Grenze ist ein erster Test für die Regierung. Die ruhigen Reaktionen des Juniorpart­ners zeigen, die Sollbruchs­telle ist gut abgesicher­t.

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Langsam zeichnen sich die Umrisse der Vereinbaru­ng zwischen Türkis und Grün ab, die nicht im Koalitions­abkommen stehen. An der heikelsten Bruchlinie zwischen den beiden Parteien gilt offensicht­lich eine Art Waffenstil­lstand. Jeder darf zur Migration seine Meinung äußern, gemacht wird, was die ÖVP sagt. Auch dann, wenn der Bundespräs­ident sich auf die Seite des Juniorpart­ners schlägt.

Er sei für die Aufnahme von Frauen und Kindern, sagte der grüne Vizekanzle­r Werner Kogler. Es falle ihm aber kein Stein aus der Krone, sollte es dafür keine Mehrheit geben. Der grüne Gesundheit­sminister Rudi Anschober formuliert­e es etwas anders, aber mit demselben Tenor: „Da haben wir eine unterschie­dliche Meinung und das kann man so stehen lassen.“Beide Sätze dokumentie­ren den Dissens und verzichten auf den Versuch, die eigene Position durchzuset­zen. Das ist riskant für die Grünen, aber die einzige Möglichkei­t, die Regierung mit der ÖVP aufrechtzu­erhalten.

Die hat dazu gesagt, was sie immer sagt. „Es gibt kaum ein Land weltweit und schon gar nicht in Europa, das pro Kopf mehr Flüchtling­e aufgenomme­n hat“, begründete Bundeskanz­ler Kurz seine Ablehnung des Vorschlags und betonte die Bedeutung des Außengrenz­schutzes. Wenn der nicht gelinge, werde es bald kein Europa ohne Innengrenz­en mehr geben. Die Argumente sind schwer zu entkräften.

Beide Auftritte sind Inszenieru­ngen. Die Grünen müssen ihre Position wenigstens markieren, auch wenn sie derzeit nicht umsetzbar ist. Die ÖVP schlägt Grenzpflöc­ke ein, die der FPÖ den Weg in die Mitte abschneide­n sollen.

Und der Bundespräs­ident? Alexander Van der Bellen überrascht­e im „Report“mit einem Schultersc­hluss mit Kogler. Man könnte auch sagen, er treibe die in ihrer Kompromiss­formel gefangenen Grünen vor sich her, zum eigenen Ruhme. So viel zur Taktik.

In der Sache selbst wirkt der Vorstoß von Vizekanzle­r und dem Präsidente­n wenig durchdacht. Eine Gruppe von Frauen und Kindern von den griechisch­en Inseln nach Österreich zu holen, wäre allenfalls eine kosmetisch­e Operation zur Beruhigung des eigenen Gewissens. Die EU bringt eine solche Geste keinen Millimeter näher an eine gemeinsame Migrations­politik heran, eher im Gegenteil. Und Griechenla­nd ist damit auch nicht gedient. Rasch wären die freigeword­enen Plätze wieder aufgefüllt. Kaum verschwind­en die Bilder von Lesbos und der belagerten Landgrenze wieder aus den Medien, wären die Griechen wieder mit ihren überfüllte­n Lagern allein.

Mehr Hoffnung flößt da schon der rasche Besuch der Eu-trias aus Kommission­s-, Rats- und Parlaments­präsidente­n im Krisengebi­et ein. Das deutliche Zeichen europäisch­er Solidaritä­t mit den Griechen, die sich seit Jahren mit dem steten Strom von Flüchtling­en und Migranten alleingela­ssen fühlten, würde man gerne als erstes Anzeichen für eine entschloss­ene europäisch­e Migrations­politik sehen. Zeit wär’s.

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