Kleine Zeitung Steiermark

Türkei-deal wird neu überdacht

- Von unserem Korrespond­enten Andreas Lieb aus Brüssel

„Die Grenzen bleiben zu“: Mit dieser Botschaft wurde der türkische Präsident Recep Tayyip Erdog˘ an in Brüssel empfangen. Der Türkeideal soll nun überarbeit­et werden.

Mit steinerner Miene betrat Recep Tayyip Erdog˘an gestern Abend das Brüsseler Ratsgebäud­e. Nur kurz, im Blitzlicht­gewitter an der Seite von Ratspräsid­ent Charles Michel, entkam dem türkischen Präsidente­n ein Lächeln. Drinnen wartete bereits Kommission­schefin Ursula von der Leyen auf den Gast, der mit seinen Eskapaden ganz Europa unter Druck setzt; man könnte auch sagen: erpresst.

Stunden davor hatte sie noch von einem „tiefen Dilemma“gesprochen und gemeint, man solle sich nicht zu viel erwarten: „Heute Abend beginnt der Dialog, das ist der Anfang.“Dabei hätte dieser Tag ganz anders verlaufen sollen: 100 Tage neue Kommission galt es zu bilanziere­n und Leuchtturm­projekte wie der „Green Deal“oder die für heute geplante Vorstellun­g der neuen Industries­trategie hätten glanzvoll in die Zukunft weisen können. Doch die Welt steht im Bann des Coronaviru­s und Europa unter dem neuen Migrations­druck.

Erdog˘an hatte tagsüber einen militärisc­hen Verbündete­n besucht, Nato-generalsek­retär Jens Stoltenber­g. Dieser sagte der Türkei weitere Unterstütz­ung zu und rief in Erinnerung, dass das Land die Folgen der Syrienkris­e voll zu spüren bekomme. Erdog˘an erinnerte daran, dass die Grenze zu Syrien auch die südöstlich­e Nato-grenze sei und zeigte sich verärgert, dass er jetzt als Auslöser der Migrations­krise gezeichnet werde.

Ursula von der Leyen hatte am Vormittag klare Distanz zur Entscheidu­ng Griechenla­nds ausgedrück­t, das Asylrecht für einen Monat auszusetze­n, sie lehnt auch den Einsatz grober Gewalt ab. Gleichzeit­ig hatte sie betont: „Die Grenzen bleiben zu.“Griechenla­nd hat begonnen, den Grenzzaun zur Türkei massiv zu verstärken. Die EU hat in mehreren Tranchen Hilfe zugesagt: 60 Millionen Euro direkt nach Idlib, zweimal 350 Millionen als Hilfe für die Flüchtling­sbetreuung in Griechenla­nd. Wie berichtet, sollen

weitere 500 Millionen Euro bereitgest­ellt werden, die zusätzlich zu den bisher vereinbart­en sechs Milliarden in die Türkei fließen sollen.

Nach dem Treffen stand fest: Der bestehende Vertrag mit der Türkei soll von beiden Seiten Punkt für Punkt überarbeit­et werden, auf Eu-seite wurde der Außenbeauf­tragte Josep Borrell damit betraut. In den nächsten Tagen, so Charles Michel, soll der Dialog mit der Türkei neu aufgesetzt werden, man will auch die Mitgliedsl­änder an Bord holen. Wenn es zu einer Annäherung komme, würde auch der Flüchtling­sdruck an der

zurückgehe­n. Ursula von der Leyen sagte, die Kommunikat­ionskanäle mit der Türkei seien wieder aktiv. Jetzt gehe es darum, die nötigen Arbeitsber­eiche abzustecke­n und gegenseiti­g die fehlenden Punkte auszumache­n.

Mehrere Länder wie Frankreich, Portugal, Luxemburg, Finnland und Deutschlan­d haben sich inzwischen bereit erklärt, vor allem unbegleite­te Kinder aus den Flüchtling­slagern aufzunehme­n. Österreich verweigert das. Der griechisch­e Ministerpr­äsident Kyriakos Mitsotakis war gestern in Deutschlan­d zu Gast, heute trifft er in Wien Bundeskanz­ler Sebastian Kurz.

Irmgard Griss hält es für unwürdig, dass Europa die Zustände auf Lesbos einfach so hinnimmt.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ?? APA ?? Recep Tayyip Erdog˘ an sprach am Abend in Brüssel erst mit Charles Michel und dann mit Ursula von der Leyen
APA Recep Tayyip Erdog˘ an sprach am Abend in Brüssel erst mit Charles Michel und dann mit Ursula von der Leyen
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria