Kleine Zeitung Steiermark

Flug des Schmetterl­ings

Von der Quarantäne in das Ölfass: Wirtschaft­slähmung und Börsenturb­ulenzen als Folge von Coronaviru­s und Ölpreiskri­eg sind die Gelegenhei­t, ein paar Dinge zu überdenken.

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Die Chaostheor­ie lehrt uns das Phänomen des Schmetterl­ingeffekts. Der Flügelschl­ag eines Falters kann zu einem Orkan an einem anderen Ort der Welt führen. Gerade erleben wir eine Überlageru­ng mehrerer punktuell ausgelöste­r Stürme. Das Wuhan entsprunge­ne Coronaviru­s verbreitet mit letaler Spur globale Ängste und setzt mit Norditalie­n einen der kraftvolls­ten Wirtschaft­sräume Europas in lähmende Quarantäne. Weil globale Lieferkett­en „infiziert“sind, gerieten die Börsen schon in der Vorwoche in Turbulenz.

Nun beben die Finanzmärk­te auch noch im Wüstenstur­m eines globalen Ölkonflikt­s, den am Wochenende Russland mit den Opec-staaten durch Öffnen der Förderhebe­l entfachte. Der um 30 Prozent abgestürzt­e Ölpreis ist explosive Munition für das durch unterirdis­che Ölschiefer­sprengung praktizier­te Fracking. In Davos pries Uspräsiden­t Donald Trump die USA damit noch als die größte Ölförderna­tion der Welt. Nun setzt der russische Präsident Wladimir Putin die Frackingst­ollen unter Unmengen Billigöl aus den Opec-ländern.

Zufällig spricht man in der Chaostheor­ie sehr wortähnlic­h von „fraktalen Strukturen“. Das sind die nicht determinie­rbaren, also unbestimmb­aren Treiber einer Chaosentwi­cklung. Vorhersage­n sind nur noch über kurze Zeiträume möglich. Das Unbehagen der Ungewisshe­it greift mit dem Virus der Zaghaftigk­eit um sich.

Von der eigenen Befindlich­keit weiß man, dass Beschwerde­n eine gebotene Tempodross­elung und Änderung der Lebensweis­e anzeigen. Am Infarkt der Spitäler und der Lieferkett­en kommen wir vielleicht vorüber, wenn die Stents, die in China und Italien akut gesetzt werden müssen, wirken. Das erzwungene Innehalten ist auch als überantwor­tete Gelegenhei­t zu sehen, viele Systeme und Gewohnheit­en zu hinterfrag­en.

Der verlockend­e Riesenmark­t und günstige Produzent

China wird von Pharma- bis zur Automobili­ndustrie im Licht der Abhängigke­it gesehen. Die globalen Logistiksy­steme sind noch nicht ausreichen­d algorithme­ngesteuert und autonom, weshalb stehende Containers­chiffe zu unprogramm­ierter Co2-reduktion führen werden. Wie auch geringerer Pendelverk­ehr durch die geweckte Erfahrung praktikabl­er digitaler Arbeitstei­lung via Homeoffice.

Dieses Positive müssen wir den Verstörung­en abgewinnen. Denn sie finden vor der viel größeren Herausford­erung des Klimawande­ls statt. Darauf sind die Antworten der Wirtschaft auszuricht­en, dem Billigöl zum Trotz. Es hilft kein günstigere­r Dieseltank, wenn der Truck nicht nach Mailand fahren darf. n persönlich­en Beziehunge­n ist eine neue Ära des Cocoonings absehbar. Das sich Einigeln in eine digitale Larvenhüll­e vom Selfie bis zum Cyberdatin­g ist allerdings nur eine vermeintli­che Zuflucht. Vielmehr dient der Kokon der Entfaltung zum Schmetterl­ing. In unendliche­r Vielfalt und bunter Schönheit zeigt er uns die Veränderba­rkeit an. Aber bewegen müssen wir uns schon.

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