„Solidarität potenziert sich im System“
Simulationsexperte Niki Popper erklärt, warum die Zahl der Ansteckungen nicht exponentiell verlaufen muss und Maßnahmen fokussiert getroffen werden sollen.
WEs wird ja sehr viel von exponentiellem Wachstum gesprochen und die Frage, wo wir uns auf dieser Kurve beim Coronavirus befinden. Das vermittelt den Eindruck, es sei immer die gleiche Kurve und in zwei Wochen ist die Situation bei uns so wie in Italien. Es gibt aber verschiedene Gründe, warum das nicht so sein muss.
Zu welchem Ergebnis kommen Sie mit Ihren Modellen?
Dabei kommt, realistisch mit Daten abgebildet, eine exponentielle Entwicklung heraus: Nämlich dann, wenn jeder mit jedem Kontakt haben könnte. Nun kommt das Spannende: Wir können verschiedene Interventionen ausprobieren und sehen, wie sich die Kurve verändert. In der simulierten Umgebung können wir feststellen, wie wir die Kurve flacher machen, damit es bei uns nicht so aussieht wie in Italien. Wir können uns anschauen, ob wir für schlechter anzunehmende Fälle genügend Ressourcen haben.
Das Modell hilft, Maßnahmen und Szenarien durchzuspielen?
Die Zukunft ist erfreulicherweise nicht festgeschrieben: Es gibt sehr viele Maßnahmen, die wir treffen können. Je mehr wir im Kleinen machen, umso eher brauchen wir die großen Maßnahmen nicht.
Was verstehen Sie unter Kontakten, die zu reduzieren sind?
Jeder Griff auf die Tür, jedes Händeschütteln ist ein Kontakt. In Summe erhöhen mehr Kontakte die Ausbreitung des Virus. Die Kontaktreduktion ist statistisch gesehen sehr erfolgreich.
Es ist also wesentlich, die Zahl der Kontakte zu reduzieren?
Natürlich. Es geht um die Aufsummation. Wir sind ein System von neun Millionen Menschen und einer Million, die zusätzlich da ist. Mit dem Bevölkerungsmodell, das wir seit zehn Jahren aufbauen, können wir Szenarien simulieren. Basierend auf einem Ausweitungsszenario können wir tagesaktuell schauen, ob sich das gut ausgeht. Da sind wir wirklich weit entfernt von Italien, im positiven Sinne.
Weil wir hier mehr Ressourcen und weniger Patienten haben?
Der Kardinalfehler, den viele machen, ist, Ressourcen nicht rechtzeitig vorauszuplanen. Und sie dann in der Panik falsch einzusetzen. Da kann man sehr viel falsch machen.
Der Peak der Ausbreitung sinkt laut Ihrem Modell bei einem Viertel weniger Kontakten massiv.
Nicht nur das Negative ist exponentiell, sondern auch das Positive! Die Reduktion der Kontakte führt zu einem exponentiellen Effekt. Die Solidarität potenziert sich im System. Wenn man jetzt zusammenhält, kann man schon was erreichen.