Koalition im Ausnahmezustand
Die Angst vor italienischen Verhältnissen zwingt die Regierung zu unpopulären Schritten und schweißt die Koalition auf bemerkenswerte Weise zusammen.
Am Anfang war der Wettlauf um das bessere Bild und die Sendeminuten: der Innenminister, der sich am Sonntagvormittag im Einsatzstab filmen lässt und seine berufliche Prägung als Milizoffizier genießt, der Gesundheitsminister, der es erst in den Abendstunden aus Oberösterreich nach Wien hetzend in die ZIB 2 schafft, um medial nicht marginalisiert zu werden, der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, der mit aufgekrempelten Ärmeln und in Uniform Tag für Tag Lagebewertungen vornimmt, als ob der Feind an der Grenze stünde, der Kanzler, der sich in die Kamera drängt und den Gesundheitsminister zum Assistenten degradiert. Angesichts der medialen Überpräsenz der Politik bleiben für Virologen, Epidemiologen, ausgewiesene Gesundheitsexperten keine Sendeminuten.
Das ist glücklicherweise Geschichte. Spätestens seit dem Wochenende gehen in der Koalition die Uhren anders. Ausschlaggebend ist die besorgniserregende Entwicklung in Italien, wo die Lage außer Kontrolle zu geraten scheint. Gesundheitsminister Anschober deutete gestern sichtlich besorgt an, dass die Situation in Italien womöglich dramatischer ist als jene in China. Allein gestern verstarben fast 200 Personen in unserem südlichen Nachbarland, die Zahl der Infizierten kletterte um 2000 auf 10.500. Dramatische Bilder aus den oberitalienischen Krankenhäusern, die an Science-fictionfilme erinnern und Ärzte und Pfleger in voluminösen Schutzanzügen am Rande der Erschöpfung zeigen, lassen in Regierungskreise alle Alarmglocken schrillen.
Die Angst vor italienischen Verhältnissen zwingt die Bundesregierung zu drakonischen, zutiefst unpopulären Schritten und schweißt die türkis-grüne Koalition auf bemerkenswerte Weise zusammen. Was noch beachtlicher ist: Gradmesser allen Handelns scheint, so der Eindruck zahlloser Auftritte von Kanzler, Gesundheits-, Innenminister und anderer Exponenten, einzig und allein die tiefe Sorge zu sein, dass auch in Österreich die Zahl der Infizierten explodiert, die Ausbreitung des Virus rasant voranschreitet, kranke und alte Menschen in großer Zahl in lebensbedrohliche Situationen geraten und Spitäler an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. Fragen über die wirtschaftlichen Folgen der Corona-seuche, die Zumutbarkeit der verordneten Schulschließungen, die Kosten der drakonischen Maßnahmen, die Vereinbarkeit mit dem Nulldefizit werden vom Kanzler sichtlich verärgert vom Tisch gewischt – als ob der Fragesteller nicht den Ernst der Lage kapieren bzw. nicht begreifen würde, dass sich in Zeiten wie diesen die Ökonomie der Sorge um die Gesundheit der Österreicher völlig unterzuordnen hätte. b die Regierung richtig reagiert, überreagiert oder ob die Schulschließungen und die anderen Maßnahmen womöglich viel zu halbherzig sind, wissen wir erst in ein paar Monaten. Mit dem Schielen auf Umfragen wird derzeit wahrlich nicht Politik gemacht.
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