Darf ein Staat die Grund- und Freiheitsrechte beschränken?
Grund- und Freiheitsrechte werden durch Verfassungsrecht, Unionsrecht und Völkerrecht garantiert. Sie schützen vor Eingriffen des Staates und sie verpflichten den Staat, ihre Wirksamkeit zu gewährleisten. Aus dem Zusammentreffen von Eingriffsbeschränkungen und Schutzpflichten ergibt sich, dass der Staat in bestimmten Situationen berechtigt und sogar verpflichtet ist, Grund- und Freiheitsrechte zu beschränken, um deren Geltung zu sichern.
Das mag akademisch klingen, wird aber anhand von Szenarien illustriert, die wir aktuell aus Anlass und im Zusammenhang mit der durch das Coronavirus verbreiteten Pandemie erleben. Der Staat hat die Verpflichtung, den Gefahren für Leben, Gesundheit, Eigentum, Arbeitskraft, Wohlfahrt, Entwicklungsmöglichkeiten und Sicherheit in der Rechtsgemeinschaft zu begegnen, die allen drohen – und er muss dazu individuelle Freiheiten beschränken, um eben diese Werte zu schützen: Freizügigkeit muss eingeschränkt werden, um sie à la longue gewährleisten zu können.
Der Staat „darf“Grund- und Freiheitsrechte nicht nur beschränken, er ist nötigenfalls dazu sogar verpflichtet. Diese Ambivalenz durchzieht die gesamte rechtliche Beurteilung des Themas „Pandemie“. Was jeweils unter welchen Bedingungen zu tun oder zu unterlassen ist, richtet sich nach den Ergebnissen facheinschlägiger Expertise in Verbindung mit rechtlichen Direktiven, allen voran den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Legalität. Beide Prinzipien sind in den Grund- und Freiheitsrechten der Verfassung verankert.
Verhältnismäßigkeit verlangt rechtlich anerkannte Legitimität und faktische Eignung von Beschränkungen und deren Reduzierung auf das Maß des Erforderlichen. Weder darf mit Kanonen auf Spatzen noch mit Pfeil und Bogen auf Panzer geschossen werden – also kein Übermaß, aber auch kein Untermaß, sondern Augenmaß. Eine Strategie der Herdenimmunität würde das gebotene Maß verletzen, wenn als Preis eine vermeidbar hohe Zahl an Todesopfern zu entrichten wäre.
Maßnahmen gegen eine Pandemie greifen aktuell und potenziell in klassische Grundund Freiheitsrechte ein, allen voran in die Selbstbestimmung der Lebensgestaltung, die Achtung des Privatlebens, die persönliche Freiheit und die Freizügigkeit, die Grundrechte des Berufslebens und der Bildung, die Unverletzlichkeit des Eigentums, Verfahrensrechte, die informationelle Selbstbestimmung und den Schutz persönlicher Daten.
Alle Handlungen und Unterlassungen staatlicher Vorsorge sind am Willkürverbot und damit am Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz zu messen.
Der Staat ist für die Angemessenheit und Wirksamkeit der von ihm zu verantwortenden Maßnahmen der Seuchenbekämpfung verantwortlich. Er ist dabei an die Rechtsordnung gebunden, die ihrerseits der kritischen Beurteilung ihrer Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit unterliegt.
Menschenrechtskonvention (EMRK) ist Teil der österreichischen Verfassungsordnung. Sie erlaubt eine partielle Suspendierung bestimmter Grundrechte für die Dauer außerordentlicher Verhältnisse. Diese Regelung kommt aber wegen der günstigeren Rechtslage aufgrund des überkommenen österreichischen Rechts, die die Suspendierung von Grundrechten abgeschafft hat, nicht zum Tragen. Abgesehen davon, dass sich Politik im demokratischen Rechtsstaat juristisch niemals durch Berufung auf „übergesetzlichen Notstand“legitimieren kann, fehlen in Österreich auch die Rechtsgrundlagen für allgemeine Grundrechtsbeschränkungen unter dem
Titel eines „Staatsnotstandes“. Die Maßnahmen gegen die Pandemie sind somit auf den Einsatz jener Instrumente angewiesen, die die Verfassung für Grundrechtseingriffe im Allgemeinen zur Verfügung stellt.
Maßgebend sind die Standards, die die EMRK aufstellt: Einige Grundrechte können nicht beschränkt werden; „eingriffsfest“in diesem Sinne sind das Verbot der Folter, der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe (Art 3). Die Politik der Herdenimmunität wäre mit Art 3 EMRK nicht vereinbar, wenn und weil sie den Tod einer großen Zahl von Menschen als Mittel der Seuchenbekämpfung von vornherein in Kauf nähme.
Im Übrigen sind Grund
Von Bernd-christian Funk
Die Freizügigkeit muss eingeschränkt werden, um sie à la longue gewährleisten zu können, sagt Verfassungsexperte Bernd-christian Funk. Aber weder dürfe mit Kanonen auf Spatzen noch mit Pfeil
und Bogen auf Panzer geschossen werden.
hat der Nationalrat zusätzliche gesetzliche Reglementierungen, allen voran ein Gesetzespaket mit budgetrechtlichen, arbeitsmarktpolitischen und arbeitsrechtlichen Vorschriften erlassen. Darin finden sich auch ergänzende Ermächtigungen zur radikalen Reduktion sozialer Kontakte in Form eines Covid19-maßnahmengesetzes.
Die bestehende Rechtslage bietet eine tragfähige, wenn auch qualitativ verbesserungsfähige Grundlage zur Anordnung und Vollziehung der Maßnahmen, derer es zur Abwehr der Pandemie und ihrer Folgen bedarf. Es ist naheliegend, aufgrund künftiger post-pandemischer Erfahrungen eine Revision und Neukodifikation der gesetzlichen Grundlagen in Angriff zu nehmen, um die Schwächen der bestehenden Rechtslage zu beseitigen. Besonderes Augenmerk verdienen dabei klare Zuständigkeits-, Kommunikationsund Koordinationsregeln.
„Ein ausgeglichener Haushalt ist immer wichtig, aber die Gesundheit der Österreicher, die Arbeitsplätze und der Standort ist wichtiger.“Finanzminister Gernot Blümel sieht sein Nulldefizit schwinden
„Wir haben es zweifelsohne mit der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg zu tun.“Vizekanzler Werner Kogler
erklärt, warum