Die Agrarpolitik an ihren Grenzen
Die Prioritäten der Politik haben sich elementar verschoben: weg vom parteipolitischen Wettbewerb, hin zum nackten Management der Krise. Deutlich zeigt sich das etwa bei Agrarlandesrat Hans Seitinger, der mit dramatischen Versorgungsfragen beschäftigt ist. Seine wichtigste Erkenntnis: „Die echte Schwachstelle in unserer Lebensmittelversorgung ist der Grenzverkehr.“
Es geht keineswegs nur um die ungarischen und slowakischen Erntehelfer für Obst und Gemüse. Große Sorgen haben die fleischverarbeitenden Betriebe der Süd-, Ost- und Weststeiermark: In den Hühnerfabriken und Schlachthöfen fehlen die Mitarbeiter, weil sie an der slowenischen oder ungarischen Grenze nicht passieren dürfen. Da geht es dann aber schnell einmal um 50.000 Hühner oder 10.000 Schweine an einem einzigen Tag, die – ja, wie sagt man? Die auf ihre Schlachtung warten? Jedenfalls stockt die Versorgungskette – unter teils dramatischen Umständen.
Überhaupt wirkt sich jetzt die internationale Verflechtung der Produktionsketten plötzlich sehr nachteilig aus. „Wir kämpfen uns von Stunde zu Stunde drüber“, schildert Seitinger die Situation. Beispielsweise geht es auch ums Thema Verpackung: Joghurtbecher, Kanister, Flaschen, Wursthäute oder Verpackungstassen werden in Italien hergestellt, jetzt stocken Produktion und Nachschub. Noch dazu muss von Gastronomiegroßpackungen massiv auf Haushaltskleinverpackungen umgestellt werden, weil ja die Gasthäuser geschlossen sind und zu Hause gekocht wird.
Nächster Punkt: Im Hafen von Koper liegen Schiffe mit
Ernst Sittinger
Produktionskette für Nahrung ist an vielen Stellen brüchig / Seitinger fordert neue Milchquote / Den Gemeinden fehlt Geld.
Mineralstoffmischungen, die dringend zur Tierfutterproduktion benötigt werden. Aber es finden sich kaum Lkw-fahrer, die durchs Risikogebiet fahren wollen. Jetzt wird in der Not überlegt, Fahrer des Bundesheeres mit der Abholung dieser Container zu beauftragen.
Seitinger fordert dringend, nach der Krise Lehren aus diesen Schieflagen zu ziehen: „Wir müssen vieles überdenken. Wir brauchen mehr Autarkie, und zwar in der gesamten Produktionskette vom Saatgut bis auf den Teller.“Und sogar darüber hinaus, denn auch in der Entsorgung muss man höllisch aufpassen, dass alles am Schnürchen läuft, um nicht Hygieneprobleme heraufzubeschwören. Das wurde in einer eigenen
Krisensitzung am Mittwoch mit der Abfallwirtschaft geklärt.
Die heimische Selbstversorgung mit Lebensmitteln ist jedenfalls nur eine statistische Zahl, „mit der man in der Praxis nicht viel anfangen kann“, wie der Landesrat sagt. Tatsächlich stehen bundesweit Agrarimporte von rund 12 Milliarden Euro einem nahezu gleichen Volumen von Agrarausfuhren gegenüber – aber das sind natürlich ganz andere Waren und Märkte. Schweine und Milchprodukte werden ausgerechnet nach China und Italien exportiert. Neben der Sicherung der heimischen Versorgung geht es auch um die Bewahrung dieser Exportmärkte, die nicht stillgelegt werden dürfen.
Seitinger lässt sogar mit der
Forderung aufhorchen, künftig wieder ein Regime der Marktordnungen einzuführen, wie es bis zum Eu-beitritt existent war. Er denkt konkret an die Wiedereinführung der Milchquote, aber auch an Preisgarantien für bestimmte Produkte. Der „radikal freie Markt“habe jedenfalls zu einer erdrückenden Dominanz der Großkonzerne und der großen Agrarindustrien geführt – das müsse sich ändern: „Wir brauchen neue Ordnungssysteme.“
Große Aufgaben warten auch in den Gemeinden. Die Wahl ist zwar verschoben, aber in den letzten Tagen gab es Konflikte, weil sich einzelne Bürgermeister eine rigorosere Fernhaltung auswärtiger Gäste aus Gesundheitsgründen gewünscht hätten. Nach der eigenmächtigen Sperre der Straße in die Ramsau zog der Gemeindebund die Notbremse und sandte einen Rundbrief aus. Wichtigste Erkenntnis: Die Bürgermeister dürfen genau gar nichts. Die gesamte Kompetenz liegt bei Bund, Land und Bezirkshauptmannschaften.
Dazu mehren sich jetzt viele Detailfragen, etwa jene, ob Kindergartengebühren weiter bezahlt werden müssen. Außerdem haben einige Gemeinden schon Liquiditätsprobleme: Sie können keine neuen Darlehen aufnehmen, weil dazu zwingend der Gemeinderat zusammentreten muss. Das alles soll jetzt mit Reformen gelöst werden. Ein Appell noch von Gemeindebundpräsident Erwin Dirnberger an die Wähler: Wer eine Wahlkarte hat, soll sie nicht wegwerfen – am neuen Wahltermin ist sie zwingend nötig, um wählen zu können.